Wer eine individualistische Weltsicht hat, sieht offenbar im Coronavirus ein geringeres Risiko als jemand mit einer sozialeren Einstellung. Dies legt eine Studie nahe, bei der zwischen Januar und April dieses Jahres fast 7.000 Menschen in zehn Ländern befragt wurden, darunter Deutschland, Schweden, Spanien oder Großbritannien, außerdem Japan, Südkorea, die USA und Australien. Soziokulturelle Einflussfaktoren wie Individualismus und persönliche Erfahrungen spielten laut der Forscher eine viel größere Rolle bei der Risikoeinschätzung als etwa soziodemografische Merkmale oder das persönliche Wissen über Corona. Weltweit werde das Risiko vergleichsweise hoch eingeschätzt, erklären die Forscher. Die größten Sorgen machten sich Umfrageteilnehmer in Großbritannien und Spanien.
Es handelt sich nach Angaben der Autoren um die erste länderübergreifende Analyse der Risikowahrnehmung von COVID-19. Grundlage war eine Onlinebefragung, die jeweils 20 Minuten dauerte. Dabei wollten die Forscher wissen, ob sich die Probanden große Sorgen machten, für wie wahrscheinlich sie es hielten, dass sie selbst in den nächsten sechs Monaten erkranken könnten und wie sie die Situation in ihrem Land einschätzten. Wie die Wissenschaftler betonen, waren alle abgefragten Themen in allen Ländern relevant für die Einschätzung des Risikos, aber in recht unterschiedlichem Ausmaß.
Der Einfluss einer individualistischen Weltsicht sei besonders deutlich messbar in den Ländern Großbritannien, Deutschland, Schweden, Spanien und Japan gewesen, wurde aber grundsätzlich bei Befragten in allen zehn Ländern gefunden. Eine prosoziale Haltung beeinflusste die Risikoeinschätzung besonders in Italien, Australien und Mexiko – je ausgeprägter sie war, desto größer das wahrgenommene Risiko.
Probanden aus allen Ländern berichteten von größeren Sorgen, wenn sie persönliche und direkte Erfahrungen mit dem Virus hatten oder auch, wenn sie von Freunden oder Bekannten über das Coronavirus informiert worden waren. Ein höheres Risiko empfanden auch diejenigen, die ein großes Vertrauen in Wissenschaft und Medizin hatten.
Einfluss der politischen Haltung
Auch die politische Einstellung spielte in einigen Ländern eine Rolle: In den USA sowie Großbritannien beispielsweise hielten Konservative das Virus für weniger riskant als Liberale. Speziell bei deutschen und schwedischen Probanden fanden die Forscher: Das Gefühl der persönlichen Selbstwirksamkeit führte wohl dazu, dass eine größere Gefahr erlebt wurde. Die Wissenschaftler fragten auch nach dem Gefühl kollektiver Wirksamkeit: Es führte bei Teilnehmern aus Japan, Mexiko und den USA dazu, dass sie das Risiko für geringer einschätzten. Mit Selbstwirksamkeit ist gemeint, dass das, was man tut, einen Unterschied macht oder etwas bewirkt.
Das Vertrauen in Verwaltung und Politik wurde ebenfalls erfasst. Probanden aus Südkorea und Spanien mit größerem Vertrauen in ihre Regierung, erlebten das Virus als weniger gefährlich. Durchweg nahmen zudem Männer ein geringeres Risiko wahr als Frauen. Darüber hinaus fanden die Wissenschaftler keinen Einfluss der erhobenen soziodemografischen Merkmale. Einen Zusammenhang gab es überall: Wer das Risiko als hoch ansah, gab auch an, Schutz- und Hygienemaßnahmen anzuwenden.
Sarah Dryhurst u. a.: Risk perceptions of COVID-19 around the world. Journal of Risk Research, 2020. DOI: 10.1080/13669877.20201758193