Unter dem Begriff Goal Disengagement versteht man die Ablösung von einem Ziel – ein Thema, das in der Motivationsforschung erst in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erhält. Wie gut uns das Aufgeben eines Ziels gelingt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Hier kommen sechs Tipps, wie ein gutes Aufgeben von Zielen gelingen kann:
1. Dritte-Person-Perspektive
Nehmen Sie etwas Abstand und versuchen Sie, sich selbst und Ihre Ziele aus der Dritte-Person-Perspektive zu betrachten. Formulieren Sie innerlich, als würde es nicht um Sie, sondern um eine andere Person gehen. Also nicht etwa „Ich möchte Ärztin werden“, sondern „Sie möchte Ärztin werden, weil schon ihre Eltern und Großeltern Ärzte waren“. Mit der Änderung der Perspektive entsteht auch eine emotionale Distanz, mit der sich ein Ziel neu bewerten lässt.
2. Verborgene Ziele
Hinterfragen Sie Ihre Ziele und prüfen Sie, welche Unterziele damit für Sie verbunden sind. Beispielsweise: „Warum möchte ich Medizin studieren, was steht dahinter? Möchte ich Menschen helfen, dem Wunsch meiner Eltern nachkommen oder einen sicheren Beruf haben?“ Wer sich seiner verborgenen Ziele bewusst wird, muss nicht am eingeschlagenen Weg festhalten, denn in vielen Fällen gibt es auch andere Möglichkeiten, um diese Unterziele zu erreichen.
3. Blick auf die Nachteile
Arbeiten Sie gelegentlich dem implemental mindset entgegen. Statt voller Optimismus die negativen Seiten eines Ziels auszublenden, blicken Sie zur Abwechslung bewusst auf die Nachteile. Machen Sie sich detailliert und schonungslos deutlich, warum Sie beispielsweise in einer Partnerschaft oder bei der Arbeit unglücklich sind und warum sich das auch in absehbarer Zukunft nicht ändern wird. Seien Sie dabei ehrlich mit sich selbst: Wo sind meine eigenen Grenzen, was kann ich leisten, was überfordert mich?
Sie wollen mehr über Goal Disengagement erfahren? Welchen Einfluss die Fähigkeit, Ziele auch wieder aufzugeben, auf unsere körperliche und psychische Gesundheit hat, lesen Sie in Ziele loslassen.
4. Alternativen suchen
Gleich danach gehen Sie einen Schritt weiter, indem Sie sich mögliche Alternativen überlegen und deren Vorteile prüfen. Denn es gibt nicht nur etwas zu verlieren, wenn wir einen eingeschlagenen Weg verlassen, sondern auch etwas zu gewinnen. Die Forschung zeigt: Je mehr Alternativen sich bieten, desto leichter fällt es, sich von einem Ziel zu lösen.
5. Klarer Schnitt
Vollziehen Sie eine klare Trennung. „Das Gras ist grüner, wo man es immer wieder gießt“, stellen die Psychologinnen Zita Mayer und Alexandra M. Freund in ihrer Forschung fest. Das bedeutet andersherum: Sobald wir uns von einem Ziel abwenden, verliert es bereits einen Teil seiner Bedeutung für uns. Durch eine klare Ablösung vermeiden Sie zudem, einer intermittierenden Verstärkung zu erliegen und sich beispielsweise mit einer unzureichenden Gehaltserhöhung zufriedenzugeben, statt endlich einen neuen Job zu suchen.
6. Erst mal aufschieben
Wer sich partout nicht von einem Ziel trennen will, der kann es aufschieben. Den Partner oder die Partnerin fürs Leben kann man auch noch mit fünfzig finden, einen Roman auch noch mit sechzig schreiben. Wer ein Ziel erst mal aufschiebt, hat sich davon zwar nicht befreit. Er muss sich aber vorerst kein Scheitern eingestehen.
Die Psychologin Cathleen Kappes vergleicht die sogenannten frozen goals mit einem alten Möbelstück, von dem wir uns nicht trennen wollen. „Dann kommt es erst mal in den Keller, staubt da langsam ein und verliert auf diese Weise immer mehr an Wert für uns.“ Irgendwann können wir es dann entsorgen.
Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie außerdem:
Warum es manchmal sinnvoll ist, sich von einem Ziel zu lösen in Ziele loslassen
Warum Ziele unserem Leben Sinn verleihen im Interview mit Entwicklungspsychologin Alexandra M. Freund in „Haben wir keinen Plan, flottieren wir richtungslos durchs Leben“
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Wir freuen uns über Ihr Feedback!
Haben Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Beitrag oder möchten Sie uns eine allgemeine Rückmeldung zu unserem Magazin geben? Dann schreiben Sie uns gerne eine Mail (an: redaktion@psychologie-heute.de).
Wir lesen jede Nachricht, bitten aber um Verständnis, dass wir nicht alle Zuschriften beantworten können.
Quellen
Veronika Brandstätter, Katharina Bernecker: Persistence and disengagement
in personal goal pursuit. Annual Review of Psychology, 73, 2022, 271–299
Cathleen Kappes, Kaspar Schattke: You have to let go sometimes: advances in understanding goal disengagement. Motivation and Emotion, 46/6, 2022, 735–751
Eric Klinger: Consequences of commitment to and disengagement from incentives. Psychological Review, 82, 1975
Farina Rühs, Werner Greve, Cathleen Kappes: Inducing and blocking the goal to belong in an experimental setting: goal disengagement research using Cyberball. Motivation and Emotion 46, 2022. S:806-824
Carsten Wrosch, Michael F. Scheier: Adaptive self-regulation, subjective well-being, and physical health: The importance of goal adjustment capacities. Advances in Motivation Science 7, 2020. S:199-238
Michael Ziegler, Roman Soucek & Klaus Moser: Eskalierendes Commitment: Warum Menschen an fehlgehenden Handlungssträngen festhalten. Report Psychologie, 45(6), 2020. S:8–10.
Zita Mayer & Alexandra M. Freund: Better off without? Benefits and costs of resolving goal conflict through goal shelving and goal disengagement. Motivation and Emotion 46, 2022. S:790–805