Schizophrenie ist eine der rätselhaftesten psychischen Störungen. Wenn Betroffene Stimmen hören, sich im Wahn verfolgt fühlen oder unzusammenhängende Dinge reden, ist ihr Verhalten für ihre Mitmenschen oft nicht mal im Ansatz nachvollziehbar.
Der Psychoanalytiker Christopher Bollas hat nun ein Fenster in die Innenwelt der Erkrankung geöffnet. In dem Buch Wenn die Sonne zerbricht. Das Rätsel Schizophrenie entwickelt er die These, dass das Denken und Verhalten von Menschen mit Schizophrenie einer inneren Logik folgt. Diese lasse sich entschlüsseln und für die Psychotherapie nutzen.
Sein Buch lässt sich auch als autobiografische Entwicklungsgeschichte lesen. Wir begleiten Bollas von seinen beruflichen Anfängen über sechs Jahrzehnte bis in die Gegenwart. Der Bericht setzt in den 1960er Jahren ein: Der junge Christopher Bollas lebt in Kalifornien und kümmert sich als Hilfskraft um Kinder mit psychischen Störungen. Dass die Erzählung zu einem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Autor selbst wenig psychologisches Vorwissen hat, ist ein kluger Kniff. Denn so können auch Leser ohne psychoanalytische Bildung gut folgen, wenn sich Bollas staunend an seine ersten Beobachtungen erinnert. Erst beim Nachdenken über das Erlebte folgen erste Rückschlüsse auf allgemeinere Gesetzmäßigkeiten.
Innere Logik der Schizophrenie
Ein Beispiel: Die Kinder und ihre Betreuer gehen ins Schwimmbad. Dort wird es schnell chaotisch. Als der erste junge Patient seinen Fuß ins Wasser steckt, schreit er wie am Spieß. Bollas ist ratlos – was macht dem Kind solche Angst? Dann versteht er: „Wenn du auf deine Füße guckst, während du in einen Pool steigst, siehst du den Körper unter der Wasserlinie verzerrt. Die Kinder sahen das und wurden panisch, weil sie annahmen, das Wasser verbiege ihren Körper.“ Eine erhellende Erfahrung: Bollas folgert, „dass fast jedes psychotische Verhalten verständlich“ ist, „wenn man die zugrunde liegende Gedankenlogik entdecken“ kann.
Im zweiten Abschnitt wird das Buch deutlich abstrakter. Das wäre nicht weiter schlimm, wäre Bollas in seiner Argumentation nicht so sprunghaft. Als Leser wünscht man sich, etwas mehr an die Hand genommen zu werden.
So führt Bollas den Gedanken ein, dass einige Schizophrene glauben, „in einer Art ständigen Geschlechtsverkehrs mit und zwischen Objekten“ verbunden zu sein. Er nennt das Metasexualität. Leider macht der Autor nicht transparent, woher er das weiß. An einer ganz anderen Stelle des Buchs berichtet er zwar von einer Patientin, die Vergleichbares fühlt.
Austeilen gegen die Medikation
Sich diesen Zusammenhang über viele Seiten hinweg zu erschließen ist allerdings unnötig mühsam. Auch setzt Bollas viel Wissen voraus. Psychoanalytische Denker wie Sigmund Freud, Donald Winnicott und Jacques Lacan sollten vertraut sein, um ohne Stocken folgen zu können. Ihre Ideen werden als Referenz herangezogen, aber selten mit mehr als einem Halbsatz eingeführt.
Im Schlussteil führt Bollas aus, warum er eine psychoanalytische Therapie für Menschen mit Schizophrenie für besonders wirksam hält. Dabei teilt er hart gegen die medikamentöse Behandlung in der Psychiatrie aus. Das ist aus der inneren Logik des Buchs nachvollziehbar.
Schließlich hat Bollas ausführlich dargelegt, dass sich die Denkweise von Betroffenen idealerweise durch das intensive Zuhören eines Analytikers erschließen und therapeutisch nutzen lässt. Allerdings lässt der Autor eine wichtige Frage offen: Wie kommen Betroffene mit einer akuten Psychose, die eine Behandlung im Wahn ablehnen, eigentlich in die Psychotherapie?
Zudem ist es ein schwieriges Argument, weil Bollas an anderer Stelle selbst eingeschränkt hatte, dass er seine Patienten nach Ende der Behandlung nie wiedersieht – und deshalb nicht weiß, wie langfristig die Erfolge seiner Klienten sind. Das wäre aber nötig, um ein Besser oder Schlechter verschiedener Therapieansätze nicht nur zu behaupten, sondern tatsächlich zu belegen.
Christopher Bollas: Wenn die Sonne zerbricht. Das Rätsel Schizophrenie. Aus dem Englischen von Karla Hoven-Buchholz. Klett-Cotta, Stuttgart 2019, 259 S., € 28,–