T345 und wie ihr Bach half

Welche Bedeutung die Musik und insbesondere Bach für sie hatte, schildert die jüdische Cembalistin Zuzana Ruzickova in ihrer Biografie „Lebensfuge“.

Lebensfuge ist eine große Liebeserklärung an die Musik – und ausdrücklich Johann Sebastian Bach gewidmet. In dem Buch fragt die Cembalistin Zuzana Riková immer wieder: Was würde Bach tun? Zugleich schaut sie auf ihr langes Leben zurück. Geboren im Januar 1927, starb sie im September 2017.

Tatsächlich ist dieses Buch eine Montage. Die britische Autorin Wendy Holden traf Riková Anfang September 2017 in Prag und führte einige Gespräche mit ihr. Zwei Wochen später starb die Musikerin. Holden fügte ihre und viele frühere Riková-Interviews zu einer Erzählung in Ich-Form zusammen. Das macht die starke Unmittelbarkeit des Textes aus.

Es gab in den letzten fünf Jahrzehnten mehrere erfolgreiche autobiografische Bücher von Ausnahmemusikern des 20. Jahrhunderts, so etwa von Artur Rubinstein, Gregor Piatigorsky oder Pau Casals. Von all diesen unterscheidet sich Riková. Denn ihre Erinnerungen sind ein den Atem nehmendes Monument der Resilienz.

Lagernummer T345

Die gerade einmal 1,50 Meter messende Zuzana, Tochter eines jüdischen agnostisch-patriotischen Betreibers eines Spielzeugwarenladens in Pilsen, kam mit ihren Eltern und Großeltern kurz vor ihrem 15. Geburtstag ins KZ Theresienstadt. Aus der hochbegabten Klavierschülerin, die 1940 eine Einladung nach Paris hatte, um bei der berühmten Wanda Landowska zu studieren, wurde „T345“, so ihre Lagernummer.

Ihre Großeltern und ihr Vater starben in Theresienstadt. Im Dezember 1943 wurden ihre Mutter und sie nach Auschwitz-Birkenau, 1944 dann als Zwangsarbeiterinnen nach Neuengamme am Rande Hamburgs deportiert. Ende Februar 1945 kamen sie nach Bergen-Belsen, in die „Hölle aller Höllen“ (Riková). Sie überlebten um Haaresbreite. Was Zuzana – bei der Befreiung 27 kg wiegend – alle Torturen durchzustehen half, waren die Musik Bachs und der Traum, Musikerin zu werden.

Seltsame Freiheiten

Eindringlich schildert sie die erste Zeit nach der Rückkehr nach Pilsen – die „seltsamen Freiheiten“, an die sie sich erst wieder gewöhnen musste: ungehindert überallhin gehen zu dürfen und als „das merkwürdigste Gefühl“ allein zu gehen, nicht mehr in Fünfergruppen stapfend mit gesenktem Kopf.

Im September 1945 erhielt Riková die erste Nachkriegs-Klavierstunde. Sie übte jeden Tag bis zu zwölf Stunden Klavier und wurde 1947 in Prag für ein Klavierstudium angenommen – obwohl ihr im Winter 1944/45 die Fingerspitzen abgestorben und ihre Fingerknöchel durch die Sklavenarbeit deformiert waren.

1947 spielte sie erstmals auf einem Cembalo. Es wurde ihr Lebensinstrument.

Mit Verve erzählt sie von 40 Jahren Unterdrückung, Zensur und Repression in der sozialistischen Tschechoslowakei, von Provinztourneen und vom Aufstieg zur international gefragten Interpretin vor allem Bachs: „Ich habe mein Leben damit verbracht, mich durch harte Arbeit als würdig zu erweisen, am Leben zu sein, und meine Schulden bei jenen zu begleichen, die nicht zurückkamen.“

Zuzana Riková (unter Mitarbeit von Wendy Holden): Lebensfuge. Wie Bachs Musik mir half zu überleben. Aus dem Englischen von Ursula Pesch und Gabriele Würdinger. Propyläen, Berlin 2019, 427 S., € 22,–

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