„Ich würde meine Stelle streichen“

Die Uhr tickt. Er sitzt allein in seinem Büro und wartet, dass die Zeit endlich vergeht. Ein Sachbearbeiter aus Hessen über Bullshit-Arbeit

Die Illustration zeigt einen Mann, der auf dem Bürostuhl liegt und am Arbeitsplatz schläft
Videos schauen, schlafen, Wäsche waschen: Menschen in Bullshit-Jobs werden kreativ, wenn es darum geht, die viele übrige Zeit zu füllen. © Friederike Lübke für Psychologie Heute

Manchmal wünsche ich mir, dass ein Feuer ausbricht. Natürlich soll niemand verletzt werden. Es wäre nur schön, wenn etwas passieren würde. Irgendwas. Seit zwanzig Jahren habe ich denselben Arbeitgeber, lediglich die Stellen wechseln. So schlimm wie jetzt war es noch nie.

Mein Job ist, die Chefin einer Behörde über aktuelle Themen auf dem Laufenden zu halten. Außerdem recherchiere ich, was sie wissen möchte. Das bedeutet Daten suchen und sammeln, Statistiken und Präsentationen erstellen. Der Job könnte interessant sein. Ist er aber nicht. Meine Chefin sagt im besten Fall „danke“. Oder: „Darüber müssen wir in einem halben Jahr noch mal reden.“ Das war es.

32 Stunden angestellt, 8 Stunden gearbeitet

Im öffentlichen Dienst werden Themen monatelang diskutiert, nur um dann spurlos zu verschwinden. Eine Programmänderung oder ein neuer Haushalt oder eine neue Regierung – und das Thema ist tot. Ich bin Archivar für Themen, die niemanden mehr interessieren. Mich selbst eingeschlossen. Meist läuft es so: Ich fuchse mich in das Thema rein, trage es vor und nichts passiert. Nach ein paar Monaten stellt meine Chefin eine Rückfrage, ich lese mich wieder rein und danach wird es nie wieder angesprochen. Meine Arbeit ist völlig überflüssig. Es ist frustrierend.

Und es ist langweilig. In einer normalen Woche füllen meine Aufgaben etwa acht Stunden. Angestellt bin ich für 32. Ich sitze allein im Büro, die anderen Räume auf dem Flur sind leer. Meine Chefin ist viel unterwegs. Ich komme mir vor wie in einer Geisterstadt. Niemand sieht mich, niemand fragt, was ich tue. Also nutze ich die Zeit für eigene Projekte. Als meine Frau und ich überlegt haben, ein Haus zu kaufen, habe ich ständig Annoncen gelesen, mit Hausanbietern telefoniert und Finanzierungsmodelle verglichen. Aktuell lerne ich für eine Trainerlizenz. Außerdem schaue ich YouTube, viel zu viel YouTube.

Wenn keine Arbeit da ist, langweile ich mich. Aber wenn Arbeit da ist, langweile ich mich auch, weil die Themen so stumpf sind. Die Texte sind zäh –viele strotzen von Wörtern wie „Verwaltungsvereinbarung“. Wenn so eine Seite vor mir liegt, brauche ich erst einmal ein dickes Stück Schokolade und eine Tasse Kaffee, um überhaupt anzufangen. Oft schaue ich dann doch lieber YouTube. Ich fühle mich wie ein Drehstuhlzombie. Manchmal muss ich mich ausloggen, rausgehen und zwanzig Minuten durch die frische Luft marschieren, damit ich den Tag überstehe.

Weder spannend, noch erfüllend

Es heißt, man wächst mit seinen Aufgaben. Das Gegenteil stimmt aber auch. Ich schrumpfe mit meinen Aufgaben. Was ich früher alles geschafft habe! Große Veranstaltungen organisieren, Jahresplanung aufstellen: Das könnte ich heute nicht mehr. Ich merke, wie ich nachlasse. Bei Excel vergesse ich die Formeln, Fachbegriffe suche ich vergeblich, meine E-Mails klingen sperrig, strategisches Denken fällt mir schwer. Auch meine social skills leiden. Kein Wunder. Sonst habe ich pro Tag manchmal mit 20, 30 Menschen gesprochen. Inzwischen bin ich froh, wenn wenigstens die Reinigungskraft kommt. In privaten Gesprächen denke ich ab und zu: Früher hast du schneller nachgedacht und besser geantwortet.

Der Job ist weder spannend, noch erfüllt er mich. Die Arbeit gibt mir nichts. Immerhin lässt sie mir mehr Zeit für die Kinder und den Haushalt. An meinen Homeoffice-Tagen wasche ich die Wäsche, mähe den Rasen und räume die Zimmer auf. Meinen Arbeitslaptop trage ich vom Keller bis in den Garten. Ich muss ja erreichbar sein, falls die Chefin sich meldet. Inzwischen weiß ich genau, wann ich mich mal kurz ausloggen kann, um zum Beispiel die Waschmaschine zu beladen. Ein schlech­tes Gewissen habe ich nicht. Im Büro hätte ich auch nichts zu tun.

Es ist ja nicht so, dass etwas liegenbleiben würde. Wenn es um etwas gehen würde, hätte ich eine ganz andere Motivation. Früher habe ich eine Zeitlang Finanzhilfeanträge von kleinen Unternehmen geprüft. Da habe ich mich richtig reingehängt und es hat Spaß gemacht, weil ich wusste: Die brauchen das Geld und warten darauf. Aber ob ich eine bestimmte Kennzahl heute oder morgen raussuche, interessiert nicht mal die Chefin. Ich würde meine Stelle streichen.

In der Situation gefangen

Ich dachte immer, es würde mir gar nichts ausmachen, dass es anderen besser geht. Aber neulich im Kindergarten beim Abholen der Kleinen hat mir jemand begeistert von seiner Arbeit erzählt. Kurz habe ich es ausgehalten, aber wenn ich mir das häufiger anhören müsste, würde ich einen Bogen um den Typen machen. Wenn mich jemand auf meine Arbeit anspricht, versuche ich entweder das Thema zu wechseln oder mir rutscht als Erstes raus, wie unheimlich langweilig alles ist.

Wie es mir geht? Das frage ich mich nicht. Meist gelingt es mir ganz gut, mich von dem Gedanken fernzuhalten. Und wenn ich doch mal in mein Inneres schaue, lenke ich mich schnell wieder ab, denn das ist kein guter Ort. Da ist so viel Frust in mir, wenn ich den ansehen würde, müsste ich mein Leben ändern. Geht aber nicht. Ich muss ein Haus abbezahlen und habe kleine Kinder. Ich bin in der Situation gefangen.

Unser Familienalltag ist so anstrengend, wir sind so irre eingespannt, mir fehlen die Ressourcen, um mich in einen neuen Job einzuarbeiten. Und hätte ich einen anderen Job, müsste ich mir wieder Mühe geben. Das ist im Moment einfach nicht drin. Die Stelle passt zu unserem Lebenskonzept, also muss ich die Langeweile aushalten.

Außerdem habe ich schon das Gefühl, mich nicht beschweren zu dürfen. Es gibt Schlimmeres als ein langweiliges Leben. Ich habe ein nettes Häuschen und genug zu essen. Mein Job ist sicher, ich sitze in einem warmen Büro, das Gehalt ist in Ordnung. Andere wären damit schon zufrieden. Vielleicht ist mein Problem, dass ich viel Stimulation brauche und sie weder bei der Arbeit bekomme noch danach.

Immerhin erspar ich mir den Stress. Ich stemple aus und verschwende keinen weiteren Gedanken an die Arbeit. Wozu auch? Was soll schon passieren? Wenn ich einen Fehler mache, muss im schlimmsten Fall eine Zahl in einem Bericht korrigiert werden, den niemand gelesen hat, weil sich niemand dafür interessiert.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie gerne auch, wie Bullshit-Arbeit unserer Psyche schadet und was dagegen helfen kann in Auswirkungen der Bullshit-Arbeit.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2024: Meine Grenzen und ich
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