„Wenn wir eine Beziehung aufbauen wollen, muss ich wieder zur See fahren“, habe ich damals zu meiner Freundin gesagt. Sie ist Filipina, wir haben uns im Urlaub kennengelernt. Zwar hatte ich gerade einen neuen Job in Hamburg angenommen, aber für eine Fernbeziehung auf große Distanz reichen sechs Wochen Urlaub im Jahr nicht aus. In der Seefahrt gibt es mehr freie Zeit am Stück, also habe ich wieder angeheuert.
Seit fünf Jahren arbeite ich als Chief Engineer, ich bin verantwortlich für die gesamte Maschinenanlage auf einem Schiff. Zwischen vier und sechs Monate verbringe ich auf See und genauso lange habe ich anschließend frei. Dieser Wechsel zwischen nonstop zusammen und monatelang getrennt ist hart. Einsamkeit ist ein großes Problem.
Auf See sind wir nur über Satellitentelefon erreichbar, aber das nutzt man nur im Notfall. Für Alltagsgespräche ist es zu teuer. Falls wir Internet haben, reicht der Empfang gerade mal für eine E-Mail. Wenn sie Probleme hat oder ich, müssen wir warten, bis ich einen Hafen erreiche und wir telefonieren können. So retten wir uns: von Hafen zu Hafen. Aber das kann dauern.
Wir reden nie darüber, wie es uns geht
Ich mache Trampschifffahrt, das bedeutet, ein Schiff fährt ohne feste Route. Ich weiß nie genau, wie lange eine Reise dauert. Es können vier Monate sein oder fünf oder sechs. Manchmal erreichen wir alle paar Tage einen Hafen, dann wochenlang nicht. Oft kann ich nur schätzen, wann wir wieder telefonieren können, oder sage Sätze wie: „In 14 Tagen melde ich mich wieder.“ Wenn wir in einem Hafen liegen, muss wegen der Zeitverschiebung häufig einer von uns beiden früh aufstehen oder lange aufbleiben, damit wir reden können.
Ich merke auch bei den anderen Crewmitgliedern, dass sie sich einsam fühlen und ihre Familien vermissen. Viele fahren noch längere Törns als ich. Nach acht Monaten auf See wird die Arbeitsleistung schlecht. Einen Monat bevor sie nach Hause können, geht meist nichts mehr. Wenn wir im Hafen liegen, plane ich daher die Pausen so, dass die Leute mit ihren Familien telefonieren können. Davon profitiert auch die Leistung.
Mit Crewmitgliedern rede ich über die Arbeit, die Reederei, die Häfen. Wir reden nie darüber, wie es uns geht. Das ist unmöglich. Auf den Schiffen, auf denen ich fahre, arbeiten nur Männer und es gibt eine strenge Hierarchie. Als Chief Engineer habe ich den zweithöchsten Rang. Wenn ich Schwäche zeige, verliere ich den Respekt der Männer, die unter mir arbeiten. In diesem Rang kann man nicht mehr mit der Crew rumhängen, sonst glauben sie, man sei ihr Freund, und arbeiten weniger oder schlechter. Was das betrifft, ist die Seefahrt noch sehr traditionell. Je höher man steht, desto einsamer wird es. Der einsamste Mann auf dem Schiff ist wahrscheinlich der Kapitän.
Mal ein Wal, mal ein Delfin
Zwar gibt es einen Vertrauensoffizier an Bord, aber das bin meist ich und ich kann mich schlecht mir selbst anvertrauen. Ich kann höchstens zum Kapitän gehen. Während der Coronakrise habe ich das einmal gemacht. Zu der Zeit war ich 18 Monate von meiner Freundin getrennt, wir durften in den Häfen nicht das Schiff verlassen, es war wie im Gefängnis. Da habe ich dem Kapitän erzählt, dass ich hoffe, meine Freundin bald wiederzusehen. Er hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen und es würde schon werden. Was man halt so sagt. Männer sind ja nicht dafür bekannt, dass sie gut über Gefühle sprechen können.
Viele trinken. Klar: Alkohol betäubt. Wenn jemand jede Woche einen Kasten Bier kauft, weiß ich, dass er den allein trinkt. Mich haben Kapitäne früh gewarnt, bloß nicht damit anzufangen. Vielleicht mal ein Bier in Gemeinschaft, aber nie allein trinken. Daran halte ich mich. Alkohol ist ein No-Go. Die Verantwortung ist mir auch zu groß. Es kann jederzeit etwas passieren und dann muss ich nüchtern und einsatzbereit sein.
Seit jeder einen Laptop hat, ist die Einsamkeit noch größer geworden. Früher haben sich Crewmitglieder noch im Gemeinschaftsraum getroffen und gemeinsam einen Film geschaut. Heute bringen alle Festplatten voller Filme mit und jeder sitzt allein „auf Kammer“ und schaut sie an. Ich auch. Ich schaue vor allem Comedy, Actionfilme, Sci-Fi, Fantasy. Keine traurigen Filme, grundsätzlich nicht. Auf einer Fahrt kann ich die Harry-Potter-Reihe fünf- oder sechsmal durchschauen, nur um mich abzulenken.
Am schlimmsten ist es auf langen Törns, zum Beispiel über den Atlantik. Das ist sehr, sehr einsam. Jeden Morgen zur Kaffeepause gehe ich auf die Brücke, schaue auf das Radargerät und der Bildschirm ist leer. Auf See ist nichts. Wirklich nichts. Wenn ich an Deck stehe, kann ich bei guter Sicht etwa zwölf Kilometer weit sehen und um uns herum ist nur Wasser. Tagelang. Vielleicht taucht mal ein Wal auf oder Delfine. Aber sonst: Wasser bis zum Horizont. Da spüre ich, wie klein ich bin und wie groß die Welt.
Auf See bin ich auf mich allein gestellt
Ich muss verdrängen. Aufschieben. Jeder kennt das. Man müsste etwas erledigen und schiebt es stattdessen vor sich her. Genauso mache ich es mit Gedanken und Gefühlen. Sie sind nicht weg, in ruhigen Moment kommen sie wieder, aber die meiste Zeit drücke ich sie weg. Am besten gelingt mir das mit Arbeit und wenn ich beschäftigt bin. Ich stürze mich richtig in meine Aufgaben. Nach meiner Schicht plane ich direkt für den nächsten Tag: Was müssen wir tun? Wen setze ich wo ein? Was muss gewartet oder repariert werden? Haben wir alle Ersatzteile oder müssen wir improvisieren?
Wenn ich dann mit meiner Partnerin telefoniere, kann ich über alles reden, alles loswerden. Sie hört mir zu, gibt Ratschläge. Andersherum genauso. Lösen muss jeder von uns seine Probleme trotzdem selbst. Auf See bin ich auf mich allein gestellt.
Weil die Bezahlung gut ist, mache ich weiter. Meine Freundin und ich sind inzwischen verheiratet. Wir leben zusammen in Deutschland und ich möchte uns etwas aufbauen. Ein oder zwei Jahre kann ich noch zur See fahren, dann muss ich aufhören. Wir wollen eine Familie gründen. Und die monatelang alleinzulassen, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich will meine Kinder aufwachsen sehen.
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