Frau Broetje, wie wirkt es sich auf die mentale Gesundheit aus, wenn ein Mensch jung sehr viel Erfolg hatte?
Es hat viele positive Seiten: Man erlebt sich als leistungsfähig und sammelt positive Erfahrungen. Allerdings verknüpft sich der Erfolg auch leichter mit der Identität, die sich in diesen Jahren herausbildet. Bleibt der Erfolg dann aus, muss sich die Person fragen: Wer bin ich, wenn ich nicht das bin? Dies herauszufinden ist eine Aufgabe, die andere im gleichen Alter meist schon gelöst haben. Menschen können Erfolg besser verkraften, wenn sie bereits ein stabiles Selbstkonzept haben.
Woran erkennt man, dass man eine Karriere aufgeben sollte?
In den meisten Berufen ist der Punkt erreicht, wenn man wiederholt unzufrieden ist und sich das auch nach Änderungsversuchen nicht verbessert. Allerdings neigen viele Menschen zu mentalen Fluchtversuchen. Sie stellen sich lieber vor, eine Pommesbude am Strand zu eröffnen, anstatt ernsthaft zu versuchen, in ihrem Arbeitsleben etwas zu ändern.
Was erschwert diesen Schritt? Was erleichtert ihn?
Die Angst vor dem Unbekannten, der Statusverlust und finanzielle Herausforderungen erschweren ihn. Was hilft, ist Resilienz, Unterstützung aus dem Umfeld, ein finanzielles Polster und eine Wachstumsorientierung. Das heißt, ich bin bereit, neue Seiten an mir kennenzulernen, und kann mich in neuen Rollen sehen. Vielleicht muss ich erst eine Ausbildung machen, und das wirkt unattraktiv, aber ich kann mir vorstellen, wie es danach für mich weitergeht. Mit einem Karrierewechsel verabschiedet man sich allerdings auch von einem Teil von sich selbst. Das tut weh und darf betrauert werden.
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Dr. Sylvia Broetje ist Diplom-Psychologin. In ihrer Praxis bietet Sie Unterstützung bei beruflicher Neu- und Umorientierung.