„Sorry, du bist halt out“

Für Fashionshows und Shootings flog sie um die ganze Welt, jetzt bucht sie kaum noch jemand. Ein Model über das Ende des Erfolgs im Traumberuf

Die Illustration zeigt eine schöne Frau mit einem Handspiegel vor einem Spiegel mit einem zweiten Gesicht
Das Model kann sich nicht erklären, warum sie keine Aufträge erhält. Sie gibt ihrem Spiegelbild die Schuld. © Luisa Stömer für Psychologie Heute

Als ich anfing zu modeln, war ich 19 und hatte so viele Anfragen, dass ich gar nicht alle annehmen konnte. Ich bin von Kapstadt nach Paris geflogen und weiter nach Mailand, habe tolle Fotos gemacht und extrem viel Geld verdient. Zehn Tage Shooting in Portugal und ich bin mit 12000 Euro nach Hause gegangen und hatte gefühlt noch einen Urlaub. Es war stressig, aufregend, abwechslungsreich.

Heute bin ich 35 Jahre alt und warte den ganzen Tag darauf, dass mich jemand anfragt. Etwas anderes kann ich nicht tun. Die Agenturen, bei denen ich unter Vertrag bin, müssen mich den Kundinnen und Kunden vorschlagen und die müssen sich für mich entscheiden. Bis dahin bleibt nur: warten. Zu Hause rumhängen. Auf mein Handy starren. Die E-Mails aktualisieren, bestimmt zehnmal die Stunde.

Bei den Agenturen habe ich schon so oft nachgefragt, dass ich sie nerve. Wenn man nie weiß, ob man Arbeit bekommt oder nicht, ist das extrem belastend. Ich fühle mich absolut machtlos. Kann nichts planen, weiß nie, wie es weitergeht. Habe ich Arbeit? Wie viel? Wann? Natürlich verabrede ich mich auch oder mache eigene Termine. Falls etwas reinkommt, sage ich sie wieder ab. Aber wenn ich tagelang keine Arbeit habe, ist das mehr Zeit, als ich füllen kann.

Was ist falsch mit mir?

Vor vier Jahren bin ich in eine leichte Depression gerutscht. Ich lag den ganzen Tag im Bett und habe stundenlang durch Insta gescrollt und alle beneidet, die Jobs hatten. Kam doch ein Angebot für mich, war ich übertrieben glücklich, richtig euphorisch. Zum Glück fiel mir das schnell auf. Mein Hausarzt hat mich zum Psychotherapeuten überwiesen und wir haben festgestellt, dass ich vor allem eine Aufgabe brauche und eine Tagesstruktur. Also habe ich einen Hund adoptiert. Das hat geholfen. Dann kam Corona und es lief wieder richtig gut für mich, weil die Unternehmen verstärkt Models aus Deutschland gebucht haben.

Aber das vergangene Jahr hat schon schlecht angefangen und wurde noch schlechter. Im August hatte ich keinen einzigen Job. Sommerloch, habe ich mir gesagt. Aber im Herbst kam auch nichts. Früher war ich zu der Zeit vor lauter Arbeit ständig unterwegs und konnte gar nicht alles annehmen. Dieses Mal saß ich nur zu Hause.

Was mir nahegeht, ist das Gefühl, dass die Agenturen mich den Kunden nicht einmal mehr vorschlagen. Ich frage mich: Warum ist das so? Findet ihr mich nicht mehr schön? Nicht mehr gut? Was ist falsch an mir? Aber ich finde es nicht heraus. Ich höre immer Sätze wie: „Gerade werden mehr die dunkelhäutigen Typen gesucht.“ Oder: „Mach doch mal neue Fotos.“ Alles Ausreden. Die neuen Fotos landen nie auf ihrer Website. Ehrlich wäre wahrscheinlich: „Sorry, du bist halt out.“

Ein Bild kann alles verändern

Mich hat jede gesehen. Jeder gebucht. Und wenn mich die Agenturen vorschlagen, sagen die Kundinnen und Kunden wahrscheinlich: „Ach, die X, die hatten wir doch schon hundertmal.“ Es kommen ja auch immer neue Models nach. Der Markt ist überschwemmt. Früher hatte eine Agentur vielleicht 50 Models auf ihrer Website, heute sind es doppelt so viele. Ich bin eine von vielen und nicht mehr eine, auf die man besonders achtgibt. Es ist wie in der Mode: Wer zehn neue Jeans im Schrank hat, zieht die alte nicht mehr an. So geht die Branche auch mit Menschen um.

Ich bin pessimistisch, für mich ist das Glas immer halb leer. Schon seit ein paar Jahren denke ich deshalb immer mal wieder: Das war es jetzt. Du musst dir einen anderen Job suchen. Allerdings reichen schon wenige Aufträge aus, um ganz gut zu verdienen, und wenn ich am Ende des Jahres meine Buchhaltung durchgehe und mein Einkommen sehe, mache ich doch weiter. So hangle ich mich von Jahr zu Jahr. Das Verführerische ist: Es kann sich jederzeit wieder drehen. Ein guter Job und du bist wieder im Spiel, andere sehen dich, wollen dich, du wirst gehypt. Ein Bild kann alles verändern. Auch diese Hoffnung hält mich.

Vielleicht ruft morgen eine bekannte Beauty-Marke an und bucht mich für eine Kampagne. Oder ich schaffe es mal mit Babybauch zu H&M. Oder ich habe ein Comeback in den Vierzigern, wenn die Konkurrenz kleiner ist. Oder oder oder. Gefühlsmäßig ist es ein totales Hin und Her. Von: Mich will keiner mehr, das war es jetzt. Bis: Wenn ich diesen Job bekommen würde, das würde mich so pushen. Mein Verstand sagt: Du musst selbst einen Schlussstrich ziehen. Löse dich davon! Aber ich schaffe es nicht.

Im Moment ist es wieder schlimm, ich schaue viel auf Instagram, wer für wen arbeitet, und denke: Warum sie? Warum nicht ich? In diesen Gedanken kann ich mich verlieren. Im Kopf rattert es. Einer Modelfreundin schreibe ich: „Die Komische arbeitet wieder! Wieso wird die so viel gebucht?“ Mit solchen Chats ziehen meine Freundin und ich uns gegenseitig runter. Das ist echt eklig. Ich will es gar nicht, aber in dem Moment bin ich sauer.

Eine neue Aufgaben, ein neuer Fokus

Innerlich verachte ich Menschen, die sich als Model bezeichnen, obwohl sie nur drei Jobs im Jahr haben. Drei Jobs hatte ich früher in einer Woche! Ich hoffe, dass ich den Absprung schaffe und nicht weiter an etwas hänge, dass keinen Sinn ergibt. Wenn man bedenkt, wie viele Stunden ich wegen der Arbeit schon geweint habe. Ich muss realistisch sein. Der große Durchbruch kommt nicht mehr. Meine Zeit ist um. Ich weiß das. Aber es tut trotzdem weh. Und es wird noch mehr wehtun, wenn ich wirklich aufhöre. Ich habe keinen Plan B und ich will auch keinen. Modeln ist nicht nur ein Beruf, es ist ein Lebensstil. Wie soll ich damit umgehen, wenn alles wegfällt? Ich bräuchte eine andere Aufgabe, einen neuen Fokus. Jeden Tag im Büro sitzen und das Gleiche tun, wird mich nicht ausfüllen.

Aber ich würde gern eine Familie gründen und Kinder bekommen.

Neulich habe ich mit einer ehemaligen Kollegin geschrieben. Sie war super erfolgreich, Model für bekannte Luxusmarken. Dann hat sie ein Kind bekommen und aufgehört. Sie ist jetzt Mama, studiert, plant ein zweites Kind. Sie wirkte glücklich. Das hat mir Mut gemacht.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen auch das Interview mit Diplom-Psychologin Dr. Sylvia Broetje über die Schwierigkeiten der beruflichen Neuorientierung in Das Ende des Erfolgs im Beruf.

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