Aus welchem Buch stammt sie?
Sigmund Freud hätte Frau E. wohl eine Hysterikerin genannt, die ICD-10 schlicht eine F60.4. Ich nenne sie eine Donna Quijote des Liebeslebens. Bei ihr sind es freilich nicht Romane von tapferen Rittern, die gegen Riesen kämpfen, um die geliebte Dulcinea zu retten, sondern Liebesgeschichten in allen fünfzig Schattierungen des romantischen Grau(en)s, die ihre sexuellen Fantasien prägen. Diese sind bevölkert von galanten Adligen und leidenschaftlichen Jünglingen, erfolgreichen und wagemutigen Männern. Ihr „Verlangen“ (sie selbst benutzt dieses altmodische Wort) gilt einem aufregenden Leben „in der Stadt“, die mehr einen imaginären als einen geografischen Ort darstellt, das Gegenstück zu allem, was sie für provinziell hält.
Die Ursache ihres Leidens sieht sie in ihrer Ehe mit einem „todsterbenslangweiligen“ Mann, der sie seinerseits „vergöttert“. Affären, die sie beginnt, enden in ähnlichen Enttäuschungen wie mit ihrem Ehemann. Verlassen wollen und verlassen werden, Sehnsucht und Selbstvorwürfe strukturieren ihre wiederkehrenden Depressionen. Als ich sie vorsichtig auf die mehr als offensichtliche Serialität in der Wahl ihrer Liebesbeziehungen aufmerksam mache – anfängliche Idealisierung, baldige Desillusionierung –, ist sie hellauf begeistert. Noch nie, beteuert sie, habe jemand sie so gut verstanden wie ich. Ich fürchte allerdings, dass die psychoanalytische Therapie für sie keine Lösung ihrer Konflikte bringen wird, sondern vielmehr selbst zum Teil des Problems werden könnte.
Aus welchem Buch stammt die beschriebene Patientin? Hier finden Sie die Auflösung.