Vergeben ist nicht vergeblich

Wie Versöhnung in der Psychotherapie funktioniert, beschreibt dieses Handbuch.

Wer vergibt, gibt einen eigenen Anspruch auf. Früher „vergab“ der Fürst ein Zollprivileg an treue Untertanen; heute vergeben wir dem Partner den Seitensprung. Wer verzeiht, verzichtet darauf, jemanden einer Missetat anzuklagen, ihn ihrer zu zeihen. Wer sagt: „Ich entschuldige mich“, wird als höflicher Mensch, der um Verzeihung bittet, erheblich missverstanden, denn wenn ich schuldig geworden bin, kann ich mich nicht selbst entschuldigen. Ich kann allenfalls um Entschuldigung bitten, die mir der oder die Beleidigte gewähren wird – oder auch nicht.

Wer den von Friederike von Tiedemann herausgegebenen Sammelband Versöhnungsprozesse in der Paartherapie studiert, findet solche Informationen und stößt auch auf das Geleitwort eines Domdekans und einen Textbeitrag des Bischofs von Mainz, Peter Kohlgraf, über „Versöhnung als Thema christlicher Erfahrung und theologischer Reflexion“. Das Buch wurde von einer Jahrestagung des Bundesverbandes Katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und -berater inspiriert. Es ist ein „Modulhandbuch“ für die Mitarbeiterinnen der katholischen Beratungsstellen und enthält eine DVD, in der unter anderem Einfühlung, Stoppsignale für Vorwürfe, Teufelskreisanalyse, eine Paarkurve, Verletzungsrituale (gemeint ist das Auflösen von Verletzungen aus der Vergangenheit) und „der milde Blick“ erarbeitet werden.

In den kirchlichen Beratungsstellen arbeiten viele innerhalb der Kirche ausgebildete Frauen und Männer aus den unterschiedlichsten Berufen ohne fachpsychologische Ausbildung. Die Herausgeberin hat sich viel vorgenommen, wenn sie den Reader auf diese Beraterinnen und Berater zuschneidet, ihn aber ebenso für Psychologische Psychotherapeuten empfiehlt. Über weite Strecken überwiegt eine zwar verständliche, aber oft allgemeine und manchmal etwas betuliche Schreibweise.

Ein Handbuch ersetzt nicht die Erfahrung der Beraterin oder des Beraters

Von Sexualität und Erotik ist sehr wenig die Rede, psychodynamische und differentialdiagnostische Gesichtspunkte zu der höchst unterschiedlichen Versöhnungsbereitschaft von Paaren fehlen. Ebenso geht eine Diskussion der Frage, wann die Arbeit an der Überbrückung von Differenzen aufgegeben und die Option einer Trennung besprochen werden soll, nicht über die Bemerkung hinaus, dass die Bereitschaft zu einer Versöhnung an innere Grenzen stoßen kann.

Die Verdienste des Praxishandbuchs liegen in der einfühlsamen und anschaulichen Illustration eines strukturierten, zum großen Teil an der Transaktionsanalyse orientierten Vorgehens.

Die Problematik scheint mir darin zu liegen, dass Beraterinnen und Berater viel Erfahrung und Selbstvertrauen brauchen, um erst einmal den emotionalen Raum zu schaffen, in dem Paare zu ihren persönlichen Vergebens- und Versöhnungsritualen finden können. Wenn unsichere Berater sich an ein Handbuch halten und Vorgaben umsetzen, droht die Gefahr, dass ein so „strukturiertes“ Vorgehen nicht angenommen wird. Erst wenn die Beziehung zur Beraterin oder dem Berater das Geschehen trägt, sind Anleitung und Übung hilfreich.

Friederike von Tiedemann (Hg.): Versöhnungs-prozesse in der Paartherapie. Ein Handbuch für die ­Praxis. Mit DVD. Junfermann, ­Paderborn 2018, 304 S., € 35,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2018: Alles zu meiner Zeit
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