Die Engländerin Julie Smith arbeitet seit mehr als zehn Jahren als klinische Psychologin und seit einiger Zeit auch als Social-Media-Aktivistin mit beachtlichen 3,5 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten. Ihr Motiv: „Eigentlich sollte niemand dafür bezahlen müssen, zu jemandem wie mir zu kommen und erst so Zugang zu Erkenntnissen über die Funktionsweise von Geist und Seele zu finden.“ Deshalb hat sie gemeinsam mit ihrem Mann angefangen, Videos zu drehen, kurze 60-Sekunden-Botschaften über mentale Gesundheit.
Da in dieser knappen Form viele Details entfallen müssten, habe sie nun diesen Ratgeber verfasst. Er thematisiert die Alltagsbefindlichkeiten, etwa Stimmungstiefs, Motivationsprobleme, Selbstzweifel, Ängste. Auch Trauerbewältigung und Sinnfragen des Lebens werden angesprochen. „Alles, was ich in meinem Beruf als Psychologin an Wissen angesammelt habe, werde ich in diesem Buch in einfachen Worten wiedergeben“, schreibt die Autorin.
Tagebuchschreiben, um Denkfehler zu erkennen
Keineswegs wolle sie von einer Therapie abraten. Ihre Ratschläge bewegen sich deshalb im Vorfeld einer therapeutischen Intervention. Auf der Basis der kognitiven Verhaltenstherapie stellt sie ihr Wissen und seine Umsetzung mithilfe von alltagspraktischen Techniken und kleinen Übungen vor. Zum Ende jedes Kapitels werden die wichtigsten Gedanken zusammengefasst. Diese vorgestellten Werkzeuge sollten Orientierungshilfe geben, sie seien jedoch kein Schlüssel zu einem problemfreien Leben. So könnten wir uns beispielsweise die Fähigkeit antrainieren, auf Distanz zu unseren Gedanken und Gefühlen zu gehen und sie als das zu sehen, was sie letztlich sind: eine mögliche Sichtweise.
Ein Werkzeug dazu ist das Tagebuchschreiben. Es kommt immer wieder zum Einsatz, beispielsweise als Hilfe zur Bewältigung von großen Lebensveränderungen oder zur Selbstreflexion, etwa wenn es darum geht, Emotionen zu beschreiben und zu benennen. Auch um gedankliche Verzerrungen oder falsche Vorannahmen zu erkennen, sei das Schreiben eines Tagebuches sinnvoll.
Emotionen mit Neugierde betrachten
Hilfreich wirkt auch die Erkenntnis, „dass unsere Gefühle keine Belege für die Richtigkeit unserer Gedanken sind“. Eine weitere Strategie ist, „eine Position der Neugierde einzunehmen“. Wir könnten viel über uns lernen, wenn wir Emotionen nicht verdrängen, sondern sie neugierig betrachten, sie mit „offenen Armen willkommen heißen“. So könnten wir etwas über unsere Bedürfnisse erfahren. Die so gewonnene Kompetenz zur Selbstbeobachtung erleichtere das Erkennen von Denkfehlern und schaffe Abstand zu den eigenen Gedanken.
Julie Smiths kluges Buch kann unsere Selbstheilungskräfte stärken und zur Bewältigung von Lebenskrisen beitragen. Viele ihrer Erkenntnisse und Ratschläge sind zwar nicht neu, werden aber sinnvoll eingeordnet und so präsentiert, dass sie die Leserinnen und Leser auch umsetzen können.
Julie Smith: Aufstehen oder liegen bleiben? Tools für deine mentale Gesundheit. Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Rowohlt, Hamburg 2022, 365 S., € 17,–