Jeden Monat diskutieren wir mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern deren neuste Thesen. Dieses Mal: Stephan Lewandowsky
Sie sagen, dass Menschen auf zwei verschiedene psychologische Prozesse zugreifen können, um zu erkennen, ob ein Inhalt für sie wahr ist. Worin unterscheiden diese sich?
Der eine Prozess bezieht sich auf die Außenwelt und berücksichtigt empirische Evidenz, während der andere sich mehr auf Informationen stützt, die der Person selbst zugeschrieben werden, wie Intuition oder Bauchgefühl. Manche Menschen bevorzugen den beweisbasierten Ansatz zur Wahrheitsfindung, während andere sich lieber auf ihre Intuition verlassen. Populistische Politikerinnen und Politiker berufen sich oft auf nebulöse Konzepte wie den „gesunden Menschenverstand“, um ihre Positionen zu untermauern, und appellieren damit an ihr Publikum, zur Bewertung von Wahrheitsansprüchen eher die Intuition als Beweise zu verwenden.
Warum werden unehrliche Politiker wie Donald Trump immer noch als ehrlich angesehen?
Menschen, die Intuition als gültigen Weg zur Wahrheit sehen, sind auch bereit zu akzeptieren, dass die Ehrlichkeit einer Person auf ihrer Authentizität beruht und nicht auf sachlicher Genauigkeit. Daher kann jemand wie Donald Trump, der beim Ausdruck seiner Überzeugungen scheinbar aufrichtig und authentisch ist, als „ehrlich“ wahrgenommen werden, selbst wenn er Unwahrheiten oder Lügen erzählt.
Sie haben mehrere Millionen Tweets von US-Kongresspolitikern der Demokraten und Republikaner verglichen, um zu sehen, ob diese auf Fakten oder Überzeugungen beruhten. Was war das Ergebnis?
Politiker und Politikerinnen beider Parteien verwendeten Sprache auf zwei verschiedene Arten: eine, die sich bei der Beurteilung von Ehrlichkeit oder Wahrheit auf Beweise stützte, und eine, die hauptsächlich auf Intuition und Aufrichtigkeit beruhte. Ersteres nennen wir „Faktensprechen“ und Letzteres „Glaubenssprechen“.
Für beide US-Parteien zeigte sich: Je faktenorientierter die Sprache in einem Tweet war, desto wahrscheinlicher verwies dieser Tweet auf zuverlässige Informationen in den Nachrichten. Für Republikaner galt: Je mehr Glaubenssprechen in einem Tweet verwendet wurde, desto wahrscheinlicher waren die geteilten Informationen von geringer Qualität oder falsch. Dieser Effekt kam bei Demokratinnen kaum vor. Dies impliziert, dass Appelle an Gefühle und Intuition ein Tor zur Verbreitung von Fehlinformationen sind.
Sie sagen: Ein Überwiegen von belief-speaking könnte die Demokratie gefährden, die aber gleichzeitig ohne das Äußern von Überzeugungen und Werten nicht funktioniert. Wie könnte man im Gleichgewicht bleiben?
Demokratie beruht auf der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Ideen und politischen Strategien. Dies erfordert notwendigerweise das Gleichgewicht, das Sie nennen. Themen wie Abtreibung beruhen mehr auf Werten und Überzeugungen als auf Fakten. Daher haben beide Arten zu sprechen ihren Platz in der demokratischen Debatte.
Demokratie beruht jedoch auch auf geteiltem Wissen: Wir können unsere Meinungsverschiedenheiten nicht sinnvoll diskutieren, wenn wir nicht bestimmte Dinge als wahr akzeptieren. Beispielsweise müssen wir uns über das Ergebnis von Wahlen einig sein und anerkennen, dass sie fair waren. Wenn es nicht länger darauf ankommt, Fakten zu nennen, sondern alles zu einer Glaubensfrage wird, ist die Demokratie in Gefahr, weil unser gemeinsames Grundwissen untergraben wird.
Stephan Lewandowsky ist Professor für Kognitionspsychologie an der Universität Bristol sowie Gastprofessor an der Universität Potsdam.
Quelle
Stephan Lewandowsky u.a.: When liars are considered honest. Trends in Cognitive Sciences, 2024. DOI: 10.1016/j.tics.2024.03.005