Herr Hammer, was sind eigentlich Gewohnheiten?
Für William James, einen der Urväter der Psychologie, sind Gewohnheiten eine Grundeigenschaft aller Dinge und Organismen. Ein Schloss, das oft benutzt wird, funktioniert besser. Ein Bachbett wird umso breiter, je mehr Wasser durchfließt. Für uns sind Gewohnheiten Verhaltensweisen, die wir regelmäßig unter bestimmten Umweltbedingungen ausüben, ohne viel darüber nachzudenken. Gewohnheiten laufen meistens unbewusst und hochautomatisiert ab, wie etwa Fahrradfahren: Wir setzen uns aufs Rad und unser Körper weiß, wie Fahrradfahren funktioniert, ohne dass wir darüber nachdenken müssen.
43 Prozent unseres Verhaltens werden von Gewohnheiten bestimmt, hat der Sozialpsychologe Bas Verplanken herausgefunden. Ist das nicht auch gut so, weil Gewohnheiten uns erlauben, mit möglichst wenig Energie den Alltag zu bewältigen?
Unser Gehirn arbeitet sehr effizient: Alles, was wir häufig tun, wird mit der Zeit automatisiert und damit zur Gewohnheit. Wie wir essen, wie häufig wir uns bewegen, welche Verkehrsmittel wir benutzen, wie wir arbeiten, unser Handy nutzen, unsere Kinder erziehen – Gewohnheiten prägen alle Lebensbereiche. Aber viele Gewohnheiten können auch zu unserem Schaden sein oder unseren heutigen Werten und Zielen widersprechen. Viele Raucher haben irgendwann mal als 18-Jährige damit angefangen und würden jenseits der 30 gerne aufhören.
„Gewohnheiten sind wesentlich mitverantwortlich für die Entwicklung vieler somatischer Krankheiten und psychischer Erkrankungen“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie kann man schädliche Gewohnheiten stoppen?
Gewohnheiten werden durch Umweltreize ausgelöst und laufen meist ganz automatisch ab. Wir müssen diese Automatismen erkennen und geschickt in eine andere Richtung lenken. Wenn wir etwa zu viel am Handy daddeln, können wir den Umweltreiz verändern, indem wir das Handy zu bestimmten Zeiten am Tag in einen anderen Raum legen. Wir können Wenn-dann-Pläne formulieren, in denen wir festlegen, was wir konkret tun, wenn ein bestimmter auslösender Reiz erfolgt.
Der berühmte Psychologe und Erfinder des Marshmallow-Experiments Walter Mischel war selbst Kettenraucher. Er hatte sich vorgenommen, sich das Rauchen abzugewöhnen. Immer wenn er den Impuls hatte, zur Zigarette zu greifen, hat er sich vorgestellt, wie er an einer schweren Krebserkrankung erkrankt. Er hat sich die schlimmsten Konsequenzen des Rauchens ausgemalt. Dies klingt nach einer eigenwilligen Methode, war für ihn aber sehr wirkungsvoll.
Sie beschäftigen sich mit Micro Habits. Was genau ist das?
Micro Habits sind ein Schema, mit dessen Hilfe wir Gewohnheiten in kleine Elemente aufteilen können. Sie stehen für: M – Merken; I – Intention finden; C – Komplikationen managen; R – Routine aufbauen; O – ohne Vorwurf. Wenn ich an diesen Mikroelementen ansetze, gelingt es, neue Gewohnheiten zu etablieren und schädliche zu stoppen.
Gewohnheitsverhalten wird durch die immer gleichen Umweltreize ausgelöst. Wenn ich diese Reize verändere, etwa indem ich sie groß und sichtbar mache, wird das Verhalten in Erinnerung gerufen: Wenn wir mehr Obst essen wollen, dann sollten wir eine große Schale voller Obst gut sichtbar in die Küche stellen. Der auslösende Reiz verführt uns dann zum Apfelessen.
Umweltkontrolle wurde auch sehr erfolgreich umgesetzt beim Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen. Viele auslösende Reize sind von einem Tag auf den anderen verschwunden. Dieses Verbot hat das Rauchverhalten vieler Menschen wirkungsvoll verändert. Politik kann unsere Gewohnheiten stark beeinflussen – ich wünsche mir daher eine kluge Politik der Gewohnheiten.
Dr. Matthias Hammer ist Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Stuttgart
Matthias Hammers Buch Micro Habits. Wie Sie schädliche Gewohnheiten stoppen und gute etablieren ist bei mvg erschienen (223 S., € 16,99)