Resilienz lässt sich lernen

Resilienz ist eine Frage des Bewertungsstils. Krisen standzuhalten lässt sich lernen, erklärt der Forscher Raffael Kalisch in einem Buch.

Manche Menschen scheinen einen unsichtbaren Schutzschild mit sich zu tragen: Schicksalsschläge werfen sie nicht um, Stress perlt an ihnen ab. Wo andere mit Depressionen, Sucht, Angsterkrankungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen reagieren, bleiben sie gesund. Resilienz bezeichnete ursprünglich die Fähigkeit, Extremsituationen durchzustehen, ohne Schaden an der Seele zu nehmen. Inzwischen ist Resilienz zu einem Modewort geworden. Resilient ist, wer es ohne Burnout durch den Alltag schafft. Resilienzfragebögen versprechen Aufschluss über die eigene Belastbarkeit, in Seminaren soll man sie trainieren können.

Der Neurowissenschaftler Raffael Kalisch leitet das Mainzer Resilienzprojekt, eine Langzeitstudie des Deutschen Resilienz-Zentrums. In diesem Projekt begleiten die Forscher junge Menschen für viele Jahre auf ihrem Weg von der Schule über die Ausbildung bis in den Beruf und erfassen ihre psychischen Belastungen und ihre Reaktionen darauf. In einem ausgesprochen reflektierten Buch hat Kalisch nun zusammengetragen, was die Forschung wirklich über die Resilienz weiß.

Resilienzforschung ist im Aufbruch

Er sagt es gleich zu Anfang: Kommt Ihnen jemand mit einem Resilienzfragebogen oder einem Resilienztraining, sollten Sie Reißaus nehmen. Die Resilienzforschung, so der Autor, befindet sich in einer spannenden Aufbruchsphase, aber fertige Lösungen und schnelle Tipps fürs Durchhalten im Alltag könne der Leser seriöserweise nicht erwarten. Stattdessen erklärt der Autor, eingebettet in Geschichten von Menschen, die viel ertragen haben, ohne zu erkranken, die aktuell in der Wissenschaft diskutierten Hypothesen und die Möglichkeiten, sie zu prüfen.

Vorher aber macht Kalisch einen so mutigen wie ungewöhnlichen Schritt zurück und fragt: Was soll diese Forschung eigentlich? Bis zu 30 Prozent der europäischen Bevölkerung leiden an stressbedingten psychischen Erkrankungen. Natürlich wäre es besser, man könnte verhindern, dass diese ausbrechen, als sie therapieren zu müssen. Aber sollte man nicht besser den Stress reduzieren, als die Menschen stressresistenter zu machen? Könnte die Forschung zur Resilienz dazu führen, dass Chefs ihre Mitarbeiter in Resilienzseminare schicken, nur um ihnen noch mehr aufzubürden? Und wäre der Patient mit einer Stresserkrankung dann selbst schuld, weil er seine Resilienz nicht trainiert hat?

Kalisch wägt sorgfältig ab und kommt zu dem Ergebnis, dass die Chancen die Risiken übersteigen: Erfolgreich angewandte Resilienzforschung könne Erkrankungszahlen reduzieren und mehr Selbstentfaltung ermöglichen, indem sie Menschen unnötige Ängste nimmt, und die Produktivität steigern.

Der Glaube, trotz allem noch etwas zu bewirken

Das gelingt allerdings nach allem, was die Forscher wissen, nicht einfach so. Denn Resilienz, wie Kalisch sie beschreibt, ist kein Schutzschild, sondern eine Form der Aktivität. Resilient sind nicht die, die sich nicht berühren lassen, sondern die, denen es gelingt, in allem Übel auch noch ein Körnchen Gutes zu finden, die, deren neuronales Belohnungssystem auch in stressigen und belastenden Situationen noch Aktivität zeigt. Solche Menschen machen sich keine Illusionen, aber bei Ungewissheit neigen sie dazu, eher einen positiven Verlauf der Dinge anzunehmen, und sie glauben eher, dass sie selbst etwas bewirken können.

Wie solche Bewertungsstile entstehen, wie sie im Gehirn realisiert sind und auch, wie man sie beeinflussen kann, untersuchen die Mainzer Forscher mit vielen Methoden: Über Jahre hinweg füllen die Probanden alle drei Monate Fragebögen zu ihrem Befinden aus, die Forscher untersuchen Hirnaktivität, Schlafdauer, Stresshormone, Hautleitfähigkeit, Herzschlag, Blutproben und die Mikroorganismen im Stuhl.

Umlernen ist möglich

Kalischs vorläufiges Ergebnis: Resilienz ist kein Schicksal. Da es sich um einen Bewertungsstil handelt, kann man umlernen und schädliche Assoziationen verlernen – aber nicht mal eben schnell. Der Autor stellt diesen Vorgang eher auf eine Stufe mit einer Psychotherapie: ein langfristiger Prozess, auf den man sich einlassen und den man wollen muss. Ein gelangweilt abgesessenes Seminar, zu dem der Chef die ganze Abteilung schickt, ist nicht hilfreich.

Fazit: ein locker geschriebenes Buchs, das statt steiler Thesen einen so differenzierten wie optimistischen Einblick in die Arbeit der Resilienzforscher bietet – und anregt, über den eigenen Blick auf die Welt nachzudenken.

Raffael Kalisch: Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Berlin Verlag, Berlin 2017, 236 S., € 22,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 1/2018: Das erlaube ich mir!
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