Dan Ariely ist einer der kreativsten Psychologen der Welt. Viele seiner Experimente lesen sich wie die Streiche eines übermütigen Schuljungen, und es gibt nur wenige Menschen, die Wissenschaft so unterhaltsam erklären wie der Professor von der Duke University in North Carolina.
Zum Star seiner Zunft machte ihn folgerichtig ein Buch: Predictably Irrational (Denken hilft zwar, nützt aber nichts) aus dem Jahr 2008 wurde ein Welthit und Ariely berühmt. Sein Spezialgebiet ist die Verhaltensökonomie, also die Erforschung von menschlichem Fühlen, Denken und Tun, wenn es um Geld und Wirtschaft geht. Dabei, so Ariely, unterlaufen uns immer wieder dieselben Fehler. Wir halten uns für vernünftig und handeln doch auf vorhersehbare Weise irrational.
Auch über Lüge und Schummelei hat Ariely geforscht. Dies brachte ihn jüngst in die Schlagzeilen: Eine seiner Publikationen beruhte offenbar auf gefälschten Daten. Nun steht die Frage im Raum, wer die Verantwortung dafür trägt. Ariely bestreitet jede Schuld, doch zumindest in der Fachwelt hat sein Ruf ein paar Kratzer bekommen.
Das bringt uns zum letzten Punkt, den man über Ariely wissen muss: Mit 18 wurde er Opfer eines Unfalls; er kam nur knapp und unter bestialischen Schmerzen mit dem Leben davon. Volle drei Jahre verbrachte er im Krankenhaus, Brandnarben bedecken seither seinen Körper. Heute trägt Ariely einen spektakulären halben Vollbart, denn auf der verbrannten rechten Seite wächst kein Haar an Hals, Kinn und Oberlippe.
Verstandlose Neugier
Ariely hat seinen Humor bei alldem nicht verloren. Während der Pandemie jedoch verging ihm das Lachen, und genau davon handelt sein neues, bisher nur auf Englisch erschienenes Buch Misbelief. Im Internet, so schreibt Ariely, gab es damals ein paar hastig gemachte Videos. Sie zeigten Ariely als eine Art Teufel, der zusammen mit Bill Gates und den Illuminaten üble Dinge plane. Sein Vorhaben: das Gesundheitssystem gezielt schlechter machen und möglichst viel Leid über die Menschheit bringen. Denn seit seinem Unfall sei Ariely zerfressen vom Hass auf alle Gesunden. Das ist nachweislich dummes Zeug. Vielleicht hatten ihn sein halber Bart und sein Erfolg zu einer billigen Zielscheibe gemacht.
Das Unglaubliche an der Sache waren aber nicht einmal die Hassvideos selbst – sondern die Tatsache, dass der Unsinn im Internet viral ging. Alte Bekannte wandten sich plötzlich gegen Ariely, man verglich ihn mit Goebbels, einige forderten gar seine Hinrichtung. „Fast täglich erreichten mich Todesdrohungen“, schreibt Ariely. Er habe in diesen Wochen beinahe „den Verstand verloren“.
Zugleich wuchs seine psychologische Neugier: Woher kommt eigentlich unser Zutrauen in derlei wirres Zeug? Warum glauben wir Verschwörungsmythen? Genau von dieser Spurensuche handelt Misbelief. Das Buch ist deshalb anders als alles, was Ariely bisher publiziert hat: Es geht weniger um seine eigene Forschung, vielmehr nähert er sich dem Phänomen wie ein Wissenschaftsjournalist. Was weiß die Persönlichkeitsforschung über unseren Unglauben? Welche Rolle spielen Denken und Fühlen? Welchen Einfluss hat unsere Sehnsucht nach Zugehörigkeit? Ariely schildert auch einige skurrile Treffen mit jenen, die ihn verdächtigten; eine Gesprächspartnerin fürchtete dabei, der „halbbärtige Professor“ wolle sie mit einem bösen Zauber belegen.
Trichter des Unglaubens
Dennoch liest sich das Fazit des Buches verblüffend mitfühlend: Wer bei falschen Überzeugungen landet, hat oft einen klar beschreibbaren Prozess durchlaufen, den Ariely den „Trichter des Unglaubens“ nennt. Am oberen Rand dieses Trichters, dort also, wo die Rutschpartie beginnt, stünden fast immer Stress und miese Gefühle. Wer Unsinn glaubt, so die Botschaft, muss weder dumm noch böse sein. Wir alle bleiben anfällig – eben weil wir Menschen sind.
Arielys neues Buch erzählt eine emotionale Story, ist unterhaltsam geschrieben und man lernt eine Menge über psychologische Forschung. Dennoch wird Misbelief auch manche Leserinnen und Leser enttäuschen. Ariely präsentiert relativ wenig eigene Studien und er hat auch keine Idee, wie wir aus der Vertrauenskrise unserer Tage herauskommen. Auf eine Besserung durch die menschliche Vernunft zu hoffen sei „ungefähr so realistisch wie die Erwartung, dass wir im Dunkeln sehen können“, schreibt Ariely.
Sicher: Am Ende bemüht er sich um einen optimistischen Ton. Irgendwann müssten wir eben neue Technologien erfinden, die uns aus der Finsternis lotsen wie ein Nachtsichtgerät oder eine Laterne am Straßenrand. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Autor selbst nicht so recht an solch eine wundersame Rettung glauben mag.
Dan Ariely: Misbelief. What Makes Rational People Believe Irrational Things. Harper 2023, 320 S., ca. € 27,–