Herr Back, Herr Echterhoff, welche Identitätskonflikte spalten die Gesellschaft?

Zwei Psychologen erklären, in welche Lager sich Bevölkerungsgruppen in Identitätsfragen aufteilen und was diese kennzeichnet.

Zwischen wem besteht bei einem Identitätskonflikt eine Uneinigkeit?

Wir verwenden den Begriff Identitätskonflikt, wenn es eine grundlegende Uneinigkeit darüber gibt, wie weit oder eng Zugehörigkeit definiert wird. Dabei unterscheiden wir „Entdeckerinnen und Entdecker“ und „Verteidigerinnen und Verteidiger“. Entdeckerinnen sind offen für Veränderungen, vertrauen den demokratischen Institutionen stärker. Für sie ist es kein Problem, wenn Geflohene aufgenommen werden.

Verteidiger sehen das oft enger: Sie gestehen beispielweise nur in Deutschland Geborenen zu, dass sie hierher gehören. Sie sind misstrauischer, fühlen sich schneller marginalisiert und durch Zuwanderung eher bedroht. Solche Unterschiede gab es schon immer. Aber diese verschiedenen Identitätskonzepte prägen die sozialen und kulturellen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten in den westlichen Ländern immer mehr, unter anderem im Zuge steigender Mobilität und Migration.

Für Ihre Studie in vier europäischen Ländern – Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden – haben Sie mehr als 5000 Menschen befragt. Wie kann es sein, dass sie in nur zwei Gruppen aufteilbar sind?

Es handelt sich hier um sehr grundlegende psychische Bedürfnisse nach Sicherheit, Abgrenzung und Schutz oder eben nach Offenheit und Veränderung. Sicherlich gibt es viele Identitäten und Unterschiede in den Positionen zu den aktuell politisch verhandelten Konfliktthemen. Wir haben in den Stichproben aus mehreren Ländern je vier große Gruppen gefunden, darunter die zwei erwähnten weit auseinanderliegenden. Die beiden mittleren Gruppen lagen dann bei genauerer Betrachtung näher an der Gruppe der Entdecker oder der Verteidiger.

Welche Unterschiede gab es zwischen den Ländern?

Unter den polnischen Teilnehmenden, die von uns befragt wurden, gehörten zwei Drittel der Befragten einer der weit auseinanderliegenden Gruppen an, die mittleren Gruppen waren zahlenmäßig klein. In Polen gibt es noch mehr Menschen mit weit auseinanderliegenden Identitätskonzepten. Echtes Miteinanderreden über unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse fällt hier noch schwerer. In Deutschland ist die Spaltung bis jetzt weniger deutlich ausgeprägt.

Sind die grundlegenden Bedürfnisse, die sich hinter den Identitäten verbergen, im Grunde unvereinbar?

Nein, unvereinbar sind aber zum Teil die sich ergebenden Konfliktpositionen. Hier ist es wichtig, Interessensunterschiede sachlich zu benennen und Kompromisse zu finden, die beide Arten von Grundbedürfnissen respektieren. Für die Stabilität einer Gesellschaft ist es genauso wichtig, bewährte soziale Strukturen aufrechtzuerhalten wie für den Umgang mit Veränderungen gewappnet zu sein.

Mitja Back ist Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Münster.

Gerald Echterhoff ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Münster.

Literatur

Mitja Back u.a.: Von Verteidigern und Entdeckern: Ein Identitätskonflikt um Zugehörigkeit und Bedrohung. Working Report des Exzellenzclusters Religion und Politik der Universität Münster, 2021. DOI: 10.17879/97049506223

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2022: Für sich einstehen
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