Caroline und Christian Heim sind ein australisches Paar, das sich dafür interessiert, warum manche Paare ein Leben lang zusammenbleiben. Also beschlossen die Krisenberaterin und der Direktor einer Psychiatrieklinik, dies in einer großangelegten Studie zu erforschen. Sie verschickten Onlinefragebögen an 932 Paare, die seit 40 bis 73 Jahren verheiratet waren. Vor allem aber führte Caroline Heim lange Gespräche mit 90 weiteren Paaren, darunter auch zwei gleichgeschlechtliche. Sie bestellte die älteren Menschen nicht ins Labor, sondern besuchte sie.
„In der Stille ihrer Wohnungen, von denen manche von der Zeitlosigkeit dunkler Holzmöbel und alter Teeservices aus Keramik erfüllt waren, oder in einem gemütlichen nahegelegenen Café“, so schreibt sie, „teilten sie ihre Beziehungsgeschichten mit mir.“ Sie erzählten von Triumphen, Enttäuschungen, Affären, dem Tod eines Kindes, einer schweren seelischen Krankheit – manchmal in Tränen oder Gelächter ausbrechend, bisweilen sachte miteinander zankend.
Caroline Heim fragte die Paare gezielt nach kritischen Beziehungsaspekten wie Finanzen, Arbeitsteilung, Freiräumen, Sex und Krisen. Am Anfang aber stand eine offene Frage: „Was ist Ihr Geheimnis, das Sie so viele Jahre hat zusammenbleiben lassen?“ Dies sind die Top Five, die genannt wurden:
1 Entschlossenheit
„Commitment ist die Grundlage für die Langlebigkeit von Beziehungen“, schreiben die Heims, und ihre Studie bestätigt damit den Tenor der Forschung. Das schwer zu übersetzende Wort commitment beschreibt eine Haltung der Verbindlichkeit und des Engagements: Diese Sache ist mir sehr wichtig, sie ist mir jede Anstrengung wert. In den Interviews drückte sich dies aus in Formulierungen wie „daran festhalten“, „durch Schwierigkeiten durchgehen“, „vorbehaltloses Bekenntnis zueinander“, „niemals aufgeben“, „komme, was wolle, ich werde bleiben“.
Die Mehrheit der Paare gab an, dass diese unbedingte Verbindlichkeit unverzichtbar für das Fortbestehen ihrer Ehe gewesen sei. Sie speist sich aus Liebe und Zuneigung, aber auch einer großen Portion Beharrungsvermögen. Lucy, seit 55 Jahren mit Frank verheiratet, drückte es so aus: „Egal wie verärgert man über diesen Menschen ist, man hält zueinander.“ Manche Paare erinnerten an das Eheversprechen an ihrem Hochzeitstag, andere sagten, das Commitment sei erst im Lauf der Jahre gewachsen: „Es ist etwas, das wir uns zu eigen gemacht haben“, sagten Nicita und Juanito von den Philippinen.
2 Altruismus
Inno und Tinn aus Estland, seit 66 Jahren verheiratet, erklärten der Interviewerin, dass sich das estnische Wort für Ehe, abielu, aus „Hilfe“ und „Leben“ zusammensetzt: Man lebt zusammen und hilft sich. Das bedeutet mitunter auch ein Stück Zurücknahme der eigenen Wünsche. „Dich selbst auf Eis legen“, so nannten es Anjelika und Graeme, „dein Ego aus der Gleichung nehmen“, sagten Steven und Chuck. Ein Paar formulierte es frei nach John F. Kennedy: „Statt zu überlegen, was die andere Person für dich tun kann, frage dich, was du für sie tun kannst.“
Mitunter stellte das die Befragten auf harte Proben, so Caroline Heim: „Wayne kam über 42 Jahre mit Frances’ schweren Depressionen zurecht. Wendy vergab Andy dessen Affäre, Shirley blieb bei Patrick, obwohl seine Familie sie ablehnte, und Lunesa pflegte Romeo durch den Schilddrüsenkrebs und einen Herzinfarkt.“ Altruismus zeige sich aber nicht nur in den großen Krisen, sondern auch im Alltäglichen: indem man sich sorgt, den Schlaf des anderen nicht zu stören, indem man ihr eine Mahlzeit zubereitet oder sich um die Versicherungsverträge kümmert. Macht so viel Selbstzurücknahme nicht unzufrieden? Im Gegenteil: Laut Studien, so Caroline Heim, stärkt Altruismus nicht nur die Bindung, sondern auch das Wohlbefinden.
3 Gemeinsame Werte
Wie neben den Interviews auch die Onlineumfrage bestätigte, haben geteilte Grundüberzeugungen eine starke Bindekraft für die Partnerschaft, die womöglich sogar Temperamentsunterschiede überbrückt: „Obwohl wir in unseren Persönlichkeiten verschieden sind – unsere Werte sind dieselben“, sagten etwa Christine und Ted. Manchen Paaren sind Anstrengung und harte Arbeit wichtig, andere betonen Loyalität, Ehrlichkeit, Vertrauen oder aber soziales Engagement. Bei manchen steht die Familie im Mittelpunkt, andere teilen ihre Begeisterung für Kunst und Kultur.
Auch Religion und Spiritualität wurden öfter genannt. Christine und Paul empfinden eine „spirituelle Verbindung“, wenn sie gemeinsam durch die australische Wildnis streifen. Keith und Steven haben sich einer „überwiegend schwulen und lesbischen Kirche“ angeschlossen; sie benötigten einen „sicheren Himmel“, wie sie es ausdrückten. Es ist auch hilfreich, wenn die politische Einstellung nicht zu sehr auseinanderklafft; Mary und Brian umschiffen dieses Thema wann immer möglich – „sonst gibt es Streit“. Mary und Howard hingegen haben während ihrer 48 Ehejahre im Tandem das politische Lager gewechselt: „Als wir heirateten, waren wir extrem konservativ. Heute sind wir beide auf dem stark linken Flügel.“
4 Kommunikation
Die meisten Paare hatten das Gefühl, dass ihre Verständigung über all die Jahre besser geworden sei, geduldiger, toleranter, auch ehrlicher. Peggy und Howard sind heute „schneller darin, uns zu sagen, was wir brauchen, und schneller darin, einander zuzuhören“. „Wenn du jung bist“, so Stella und Fred, „trägst du alles stumm im Kopf. Auf der Wegstrecke musst du irgendwann lernen, es auszusprechen.“ Bisweilen lief es auch umgekehrt.
Etliche der Paare sagten, dass die Kommunikation zwischen ihnen heute intuitiver, nonverbaler ablaufe als in den Anfangsjahren. „Wir kommunizieren mit gewissen Blicken und Gesten. Wenn ich sie auf die Palme bringe, erkenne ich das daran, dass sich die Härchen in ihrem Nacken aufrichten“, sagt Tony über seine Frau Pat. Bei Barbara und Lance beobachtete die Interviewerin sogar, dass sie die Sätze des jeweils anderen fortführten. Man kann es auch übertreiben.
5 Kompromiss
Selbst wenn man noch so einfühlsam kommuniziert und noch so viele Werte teilt, „wirst du nie jemals in allem übereinstimmen“, meinen Margaret und Ian. Daher sei der Kompromiss „ein unverzichtbares Beziehungsinstrument“. Man müsse, so weitere Wortmeldungen, „versuchen, den Standpunkt der anderen Person zu verstehen, um eine Übereinkunft zu erreichen“ oder, resignativer ausgedrückt, „willens sein, einen Ausgleich herbeizuführen, wenn die Sache den Kummer nicht wert ist“.
Quelle
Christian Heim, Caroline Heim: Resilient Relationships. Techniques for Surviving Hyper-individualism, Social Isolation, and a Mental Health Crisis. Routledge 2023