Wann wird Arbeit zum Risiko für eine psychische Erkrankung?

Die Zahl der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen steigt. Psychologin Margrit Löbner über die gesundheitlichen Risikofaktoren des Arbeitens

Ein junger Mann sitzt an seinem Laptop und hält sich erschöpft mit geschlossenen Augen den Kopf, während er mit einer Hand seine Brille hält
Grenzen von Freizeit und Arbeit verschwimme. Der Leistungsdruck steigt – und so auch das Risiko für psychische Probleme. © G-Stock Studio/ shutterstock

Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen hat zwischen 2012 und 2022 weitaus stärker zugenommen als wegen anderer Erkrankungen. Warum?

Das ist noch nicht in allen Aspekten wirklich verstanden. In der wissenschaftlichen Diskussion sind unter anderem folgende Erklärungen: das rasche Aufeinanderfolgen der Krisen, deutlich veränderte Arbeitswelten, weiter zunehmende Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck, aber auch gesellschaftliche Prozesse wie eine wachsende Individualisierung sowie Entsolidarisierung.

Digitalisierung und Globalisierung sind mit vielen neuen Herausforderungen verbunden. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Das hat gesundheitliche Konsequenzen. Gleichzeitig bringt es Vorteile, so können Beschäftigte selbstbestimmter ihre Arbeit mit ihren Aufgaben in der Familie vereinbaren – was aber mit neuem Stress einhergehen kann, etwa durch die erhöhte Erreichbarkeit oder Rollenkonflikte.

Die Frühverrentungen aufgrund psychischer Erkrankungen haben zwischen den Jahren 2000 und 2020 stark zugenommen, nämlich um 42 Prozent. Langzeitarbeitslose sind eine besondere Risikogruppe. Ihr Risiko, an einer psychischen Erkrankung zu leiden, ist besonders hoch. Dies mindert ihre Chancen auf berufliche Teilhabe zusätzlich.

Die Fehlzeiten, die durch psychische Erkrankungen entstehen, lagen im Jahr 2022 bei durchschnittlich 29 Tagen. Warum fehlen die Betroffenen so lange?

Psychische Erkrankungen sind oft langwierig und komplex; mit ihnen geht hoher Leidensdruck einher. Längst nicht alle der rund 17,8 Millionen Betroffenen in Deutschland kommen in eine Behandlung – nach Daten des Robert-Koch-Instituts sind es weniger als 20 Prozent.

Die psychosoziale Arbeitsbelastung kann bei der Entstehung von psychischen Problemen eine Rolle spielen: Tätigkeiten mit hohen Anforderungen bei gleichzeitig geringem Spielraum bergen ein hohes Risiko für Depressionen. Ein Burnout ist die „Zwischenstation“ auf dem Weg dorthin.

Aber Arbeit ist zugleich ein starker Resilienzfaktor. Sie ist zentral in unserem Leben, kann Sinn stiften und unser Selbstwirksamkeitserleben in vielerlei Hinsicht stärken. Deshalb sollte Menschen die Rückkehr ins Arbeitsleben möglichst leicht gemacht werden. In skandinavischen Ländern hat sich hier zum Beispiel die Möglichkeit der Teilzeitkrankschreibung bewährt.

Wie muss Arbeit beschaffen sein, damit sie nicht zum Krankheitsrisiko wird?

Förderlich sind ein gut zu bewältigendes Arbeitspensum, Wahlmöglichkeiten, Kontrolle, Anerkennung, Belohnung, ein unterstützendes Team, aber auch Aspekte wie Respekt und soziale Gerechtigkeit am Arbeitsplatz. Es kommt also auf die Unternehmenskultur an. Betriebliche Gesundheitsförderung ist wichtig, ebenso das vorgeschriebene, aber noch zu selten genutzte Instrument der psychischen Gefährdungsbeurteilung.

Was können Beschäftigte individuell tun?

Es gilt, die eigene Gesundheit zu pflegen und frühzeitig zu erkennen, ob man persönlich am Limit ist. Menschen mit großem Idealismus geraten schneller in ein Burnout als andere und sollten besonders aufmerksam sein. Wenn es einem nicht gutgeht, sollte man frühzeitig das Gespräch suchen, mit Vorgesetzten oder – falls vorhanden – dem Betriebsrat.

Margrit Löbner ist Psychologin. Sie forscht am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig.

Quelle

Margrit Löbner, Steffi G. Riedel-Heller: Die Prävention psychischer Störungen in der Arbeitswelt. Psychiatrische Praxis, 2024. DOI: 10.1055/a-2197-7384

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