Ein Lob den drei Freunden

Warum brauchen wir Freunde? Wie können wir sie finden und bewahren? Zwei Bücher, ein Lob der Freundschaft als Lebensform – und subversive Kraft.

Vier Dinge braucht der Mensch: Nahrung, Kleidung, Wohnung und Freunde. Diese Erkenntnis verdanken wir dem griechischen Philosophen Epikur (341–270 v. Chr.). Bis heute besitzt die Freundschaft einen sehr hohen Wert. Freundschaftliche Beziehungen werden jedoch in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich gelebt.

Der Freundschaftsbegriff der Amerikanerin Marisa G. Franco wird der räumlichen und sozialen Mobilität vieler Amerikanerinnen und Amerikaner gerecht, die schnell Kontakte schließen und Anschluss finden müssen, während der Franzose Geoffroy de Lagasnerie seine Dreierfreundschaft als eine außergewöhnlich intensive Lebensweise beschreibt.

Gegen den Strom der Isolation

Marisa G. Franco glaubt, dass auf der Werteskala ihrer Kultur die platonische Liebe auf der untersten Stufe stehe, die romantische Liebesbeziehung und die Familie werden favorisiert. „Wir leben in einer Gesellschaft, die es akzeptiert, Treffen mit Freunden abzusagen, weil die Arbeit ruft, umgekehrt jedoch nicht.“

Steigender Wohlstand führe in die Isolation. Eine Metaanalyse von 2013 habe festgestellt, dass Freundschaftsnetzwerke in den vergangenen 35 Jahren kleiner geworden seien. 61 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner würden sich als einsam bezeichnen, dies jedoch nicht offen zugeben. „Wenn wir Freunde finden und behalten wollen, müssen wir gegen den Strom der Isolation schwimmen, die uns krank macht“, so Franco.

Freundschaft, um funktionieren zu können

Die Psychologin, die viel über Einsamkeit und Freundschaft geforscht hat, beschreibt im ersten Teil ihres Sachbuches, warum wir Freundinnen und Freunde brauchen, im zweiten Teil schildert sie anhand von vielen Beispielen, wie man diese gewinnen und behalten kann. Die „heilende Kraft der Freundschaft“ wirke sich auf die körperliche und geistige Gesundheit aus, sie beuge Depressionen vor. Es sei Konsens in der Psychologie, dass wir Freundschaften brauchten, „um funktionieren zu können“.

Anders als unsere Eltern verlangten Freunde nicht von uns, dass wir ihre Hoffnungen erfüllten, und anders als in Partnerschaften seien die Erwartungen nicht so hoch. Wir sollten uns bewusst um Freundschaften bemühen. Es gelte, die Hand auszustrecken und sich in der freundschaftlichen Beziehung authentisch und verletzlich zu zeigen.

Marisa G. Franco hat ein praxisorientiertes Sachbuch verfasst, das die sozialen Bedingungen der gutsituierten Mittelschicht in den USA im Blick hat, aber auch Menschen hierzulande Mut machen kann, auf andere offen zuzugehen.

Fort von der Hauptbrutstätte des Konservatismus

„Was uns verbindet ist keine Liebe, aber es ist mehr als Freundschaft“, so der Philosoph Geoffroy de Lagasnerie in seinem Essay über seine Beziehung zu dem Schriftsteller Édouard Louis und dem Soziologen Didier Eribon. Letzterer ist hierzulande durch seinen Bestseller Rückkehr nach Reims bekannt. Sein Freund Geoffroy formuliert in einer etwas gewundenen Sprache einen hohen Anspruch für ihre ungewöhnliche Existenzform: Es gehe darum, zu untersuchen, wie sich diese Konfiguration von anderen Lebensweisen „absetzt und sich von ihnen unterscheidet, und zu fragen, was diese Singularität – die Freundschaft als Lebensweise – an Befreiendem und Kreativem erzeugen kann“. Er will versuchen, „dem utopischen Streben nach einem anderen Leben einen konkreten Inhalt zu verleihen“.

Dekonstruieren wollen die drei Freunde das Familienmodell als die „Hauptbrutstätte für die ideologische Atmosphäre des Konservatismus“. Wie Wilhelm Reich und Max Horkheimer schon postuliert hätten, „fördere die familiäre Sozialisation die Entwicklung autoritärer (oder sogar faschistischer) mentaler Dispositionen“. Es gebe einen Zusammenhang zwischen der Ordnung der Familie und der Stabilität repressiver Logiken.

Der Mittelpunkt unseres Daseins

Die neue Lebensform der drei Freunde, die nach ihrer Vorstellung einen Anstoß für eine eigene Kultur geben soll, geht auch mit einer Neudefinition der Liebespraxis und Partnerschaft einher. Denn Freundschaft zu einer Lebensform zu machen bedeute nicht, dass man nicht verliebt und in einer Beziehung sein kann. „Didier und ich sind ein Paar, und Édouard ist seinerseits in einer Paarbeziehung.“

Keiner von ihnen wohnt mit seinem Partner zusammen. Alle eint, dass es keine Häuslichkeit gibt. Ihre Freundschaft begann im September 2011. „In dieser Zeit nahm unser Leben eine neue Wendung, ein tiefer Bruch zeichnete sich in unserer Existenz ab: Wir begannen, gemeinsam zu reisen, fast systematisch gemeinsam zu Abend zu essen, gemeinsam schöpferisch tätig zu sein und zu denken.“ Entstanden sei ein „relationaler Raum, in dem die Freundschaft zu einer Lebensform geworden ist“. Es sei unzutreffend zu sagen, dass ihre Konfiguration Teil ihres Lebens sei, sie sei „das Leben selbst“ und daher die Grundlage, „auf der wir andere Bindungen pflegen oder nicht“. Sie korrespondieren ständig, schicken manchmal zehn Nachrichten stündlich hin und her, feiern Geburtstage und Weihnachten zusammen, kümmern sich unablässig umeinander.

„Diese Beziehung ist der Mittelpunkt unseres Daseins.“ Da ihnen bewusst sei, dass Freundschaftsbindungen fragil seien, haben sie einen Pakt geschlossen, eine Art „Schwur des Nicht-Verrats, der Loyalität und Treue“. Sie verstehen dies als einen Schutzraum, „in dem eine andere Form der Existenz erfunden wird“.

Dieser Text rührt an und macht melancholisch. Wie bereichernd wäre es, wenn sich solche kreativen Lebensformen vervielfältigten.

Marisa G. Franco: Wie wir Freundschaft finden und bewahren. Und warum sie so wichtig für unser Lebensglück ist. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Liebl. Ullstein 2023, 357 S., € 18,99

Geoffroy de Lagasnerie: 3 – Ein Leben außerhalb. Lob der Freundschaft. Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. S.Fischer 2023, 196 S., € 26,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2024: Aber danach fang ich wirklich an
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