Die historische Zahl: 1952

Psychologieklassiker: Im Jahr 1952 taxiert der Psychologe Charles Osgood anhand unserer Sprachassoziationen, wie wir Dinge bewerten.

Charles Osgood taxiert unsere sprachlichen Assoziationen. Es lief nicht optimal für Richard Nixon. Sein Wahlkampf zündete nicht, er kam nicht an. Mit dem „semantischen Differenzial“ suchte sein Team nach den Gründen und stellte fest: Auf einer Skala von warm bis kalt landete Nixon nahe dem Gefrierpunkt. Also paukten seine Leute mit ihm, wie man Wärme ausstrahlt – offenbar mit gewissem Erfolg: Nixon gewann 1968 die Wahl gegen Hubert Humphrey und wurde der 37. Präsident der USA.

Das semantische Differenzial war 16 Jahre zuvor von dem Psychologen Charles Osgood entwickelt worden. Es zielt auf so etwas wie die emotionale Bewertung von Begriffen, Personen, Produkten, Weltanschauungen – kurz: von allem, was man einer Testperson vorlegt, von Margarine bis Macron, von Weltkrieg bis Wandern. Der Begriff, um den es jeweils geht, wird anhand einer langen Liste von Adjektiven taxiert. Diese bilden Gegensatzpaare, verbunden durch eine siebenstufige Skala.

Also: Ist Nixon (oder das Wandern) eher groß oder klein, verschwommen oder klar, fair oder unfair, robust oder zart? Oft ergibt das keinen rechten Sinn – und doch stellt sich meist unwillkürlich eine Assoziation ein: Ist Wandern nicht ziemlich fair?

Valenz, Potenz, Aktivierung

All diese Eigenschaftszuschreibungen, so fand Osgood heraus, lassen sich zu drei Dimensionen bündeln. Erstens Valenz: Wie gut und angenehm oder schlecht und abstoßend ist etwas? Zweitens Potenz: Macht und Stärke versus Ohnmacht und Schwäche. Drittens Aktivierung: dynamisch und aktiv versus ruhig und passiv. In ländervergleichenden Studien suchte Osgood zu beweisen, dass diese Struktur sprachlicher Bewertungen universal und kein Produkt der Kultur ist.

In den 1960er und 1970er Jahren war das semantische Differenzial in Psychologie und Sozialwissenschaften, aber auch unter Werbeleuten schwer in Mode. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass jeder Mensch, der sich irgendwann einmal in der Nähe eines psychologischen Instituts aufgehalten hat, schon ein semantisches Differenzial ausgefüllt hat“, hieß es 1974 in Psychologie Heute. Doch dann wurde es still um die Adjektivlisten. Allerdings registrierten die ­Soziologinnen Andrea Ploder und Anja Eder Zeichen eines wiedererwachenden Interesses.

1975 Bergler bezweifelt die kulturübergreifende Gültigkeit des Verfahrens

1961 Mindak untersucht mit Osgoods Technik das Image von Marken

1959 Chomsky leitet die„linguistische Wende“ ein

1954 Osgood und Luria erproben den Test an einer „multiplen Persönlichkeit“

1952 Charles Osgood vermisst unsere sprachlichenAssoziationen

1928 Thurstone führt dieerste Bewertungsskala ein

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