Sprich mit dem Vulkan!

Wie Angehörige von Borderlinebetroffenen unterstützend kommunizieren können, ohne sich selbst zu zermürben, zeigt Jerold Kreisman.

Die Kommunikation mit Menschen, die an einer Borderlinestörung leiden, gehört zu den schwierigsten interaktionellen Herausforderungen für Therapeutinnen und Therapeuten. Wie viel schwerer muss dies für Angehörige von Menschen mit einer Borderlinediagnose sein, die ein Vielfaches an gemeinsamer Zeit und damit auch gemeinsamer Kommunikation erleben.

Der amerikanische Autor und Psychiater Jerold Kreisman greift dies auf und legt ein jetzt auf Deutsch erschienenes und sorgfältig übersetztes Buch für Angehörige vor, in dem es um veränderte Kommunikation und Einblick in die anderen Erlebenswelten der Betroffenen geht. Dazu propagiert er die SET-UP-Methode, die sich zusammensetzt aus Unterstützung (support), Mitgefühl (empathy), Wahrheit (truth) sowie Verständnis (understanding) und Beharrlichkeit (perserverance).

Die ersten drei Komponenten (SET) drücken Besorgnis und die Unterstützungsabsicht aus („Ich mache mir Gedanken, weil du dich so schlecht fühlst, und möchte dir gerne helfen“), verbalisieren das Mitgefühl („Das muss für dich im Moment sehr anstrengend sein“) und fokussieren dann auf eine realistische Einschätzung der Situation („Wir sollten jetzt gemeinsam überlegen, wie wir damit umgehen“). Die UP-Ergänzung weist darauf hin, dass in der Kommunikation mit Menschen mit Borderlinediagnose Verständnis und Beharrlichkeit zentrale Dimensionen sind.

Die Tendenz, sich als Opfer zu definieren

Nach der Erläuterung der SET-UP-Kommunikationstechnik wendet sich Kreisman dann den Herausforderungen („Wie man es macht, ist es verkehrt“) und den expressiven Emotionen wie Zorn, Verlassenheitsängsten und Identitätsdefiziten zu.

In weiteren Abschnitten beschreibt er die Tendenz der Betroffenen, sich selbst als Opfer zu definieren, und die damit verbundenen externalisierten Schuldzuschreibungen, die impulsive Selbstschädigung und das Dilemma zwischen Bleiben und Gehen, das sich hauptsächlich für die überforderten Angehörigen stellt.

Das Buch besticht auch durch die Vielzahl präzise transkribierter Dialoge mit Betroffenen, die zunächst nicht hilfreiche und meist eskalierende Kommunikationsbeispiele zeigen. Danach wird demonstriert, wie mittels der SET-UP-orientierten Vorgehensweise gut verlaufende Interaktionen erreicht werden können.

Als Angehöriger findet man hier sehr hilfreiche Beispiele, wie durch die Fokusverschiebung weg vom eigenen Ärger, hin zu Unterstützung und Mitgefühl bei den Betroffenen die Emotionen besser reguliert und Eskalation, Streit und Gewalt verhindert werden können. Das Buch ist wohltuend betroffenenfreundlich geschrieben und gibt Einblick in die selbstabwertenden und zerrissenen Seiten von Menschen mit Borderlinediagnose. Es verlangt aber auch sehr viel von den Angehörigen, die sich ja oftmals in eingefahrenen Eskalationsspiralen wiederfinden: die Bereitschaft, eigene Kommunikation zu hinterfragen und kompromisslos auf Unterstützung und Mitgefühl zu setzen.

Jerold J. Kreisman: Die Kunst, mit einem Vulkan zu sprechen. Kommunikationstechniken für Angehörige von Menschen mit Borderline. Aus dem Amerikanischen von Silvia Autenrieth. Kösel, München 2020, 224 S., € 20,–

Artikel zum Thema
Wird ein Kind entführt oder steht ein Mensch am Abgrund, dann wird er gerufen. Ein Polizei-Verhandler aus Berlin erzählt, wie Empathie Leben rettet.
Leben
Woran liegt es, dass es uns so schwerfällt, einander wirklich zuzuhören?
Gesundheit
Kerstin Mersinger ist schwer psychisch krank. Immer wieder gefährdet sie sich und andere. Auch wenn sie stabil ist: Die Angehörigen bleiben alarmiert.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2021: Frauen und ihre Väter
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft