Das Buch des britischen Neuropsychologen Paul Broks trägt den poetischen Titel Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne. In eine dunkle Nacht wird Broks durch den Krebstod seiner Frau gestürzt. Die hellen Sterne spiegeln seine Liebe zur Astronomie und seine Neugierde auf die Rätsel von Geist und Bewusstsein.
Das Werk ist eine wilde Mischung aus Wissenschaft und Trauerbuch, Fallberichten aus der Praxis und philosophischen Reflexionen.
Mutig ist es, wie intensiv uns Broks an seinem Leben, an seiner Verzweiflung teilhaben lässt, nachdem seine Frau gestorben ist. Die Worte seiner Frau kurz vor ihrem Tod: „Du weißt nicht, wie kostbar das Leben ist. Du denkst, du weißt es, aber du weißt es nicht“, lassen ihn nicht mehr los. Und treiben ihn an, die alte Frage zu untersuchen: Was ist das, was trauert? Welcher Art ist die Beziehung zwischen dem materiellen Gehirn und dem fragilen Geist, der Gedanken, Gefühle und Empfindungen, letztlich unser Selbst hervorbringt?
Auf den Spuren von Oliver Sacks
Er fordert den Leser auf, in die durcheinander geratenen Gehirne von neurologischen Patienten zu blicken, um etwas über die Infrastruktur des eigenen Selbst zu lernen. Das ist allerdings eine große Herausforderung. Denn die Fallstudien zeigen in erster Linie, wie verwirrend die Beziehung zwischen Gehirn, Geist und Selbst ist. Im Stil ähneln sie sehr den Fallgeschichten des verstorbenen Neurologen Oliver Sacks. Paul Broks fokussiert sich aber mehr darauf, was die Fallstudien uns über unsere Wahrnehmung der Realität sagen und wie Menschen Bewusstsein erfahren können.
Die Berichte über die Patientenschicksale gehören zu den stärksten Stellen des Buches. Atmosphärisch dicht geschrieben, führen sie in verstörende Welten, wie zum Beispiel in der Geschichte des Mannes, der glaubte, er habe einen falschen Kopf, oder des Patienten, der erklärte, er sei tot. Die Erzählungen nutzt Broks immer wieder, um neurologische Phänomene genauer zu erläutern – wie die verschiedenen Gedächtnisarten und Verletzungen des Gehirns, die Schlafstadien und die Schlafparalyse.
Die ganz großen Fragen wirft Broks auf, wenn er fragt, wie Bewusstsein entsteht und ob es einen festen Kern des Ichs gibt. Mit dem Bewusstsein und den vielen Theorien darüber spielt der Autor lustvoll, als er über einen genialen Wissenschaftler berichtet, der eine grandiose neue Theorie erstellt hat. Experten werden sofort bemerken, dass sowohl die Geschichte als auch der Wissenschaftler und seine Theorie fiktiv sind. Ob aber auch die Leser dem Spaß so schnell auf die Schliche kommen werden?
Die fiktionalen Teile des Buches sind am wenigsten überzeugend. Zwar gehören literarische Elemente wie direkte Rede und Dialoge zu lebendigen Geschichten. Des Öfteren entstehen dann aber neben poetischen Momenten auch langatmige und verwirrende Erzählungen. Der Autor hat den Versuch gewagt, ein literarisches Sachbuch zu schreiben. Das ist ihm mehr oder weniger gelungen. Aber weniger Fiktion und mehr sachliche Information hätten dem Buch gutgetan.
Paul Broks: Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne. Über die Liebe, die Trauer und das Ich. Aus dem Englischen von Annabel Zettel. C.H.Beck, München 2019, 320 S., € 26,–