Was ist ein Histrioniker?

Ein Histrioniker braucht viel Aufmerksamkeit, manipuliert und erträgt kaum Kritik. Der Psychologe Rainer Sachse hat darüber ein Buch geschrieben.

Prof. Dr. Rainer Sachse lehrt Klinische Psychologie an der Ruhr-Universität in Bochum. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Herr Professor Sachse, was genau ist ein Histrioniker?

Ein Histrioniker oder eine Histrionikerin ist eine Person, die in hohem Maße Aufmerksamkeit will und versucht, diese durch ein übertriebenes Verhalten zu erreichen. Dabei kann sie alles dramatisieren: positive wie negative Gefühle, Probleme oder Ängste. Wenn sie geschickt handelt, dann bekommt sie in hohem Maße Aufmerksamkeit; ist sie ungeschickt, kann sie andere aber auch verprellen.

Welche bekannten Menschen weisen einen his­trio­nischen Persönlichkeitsstil auf?

Historisch gesehen kann man Marilyn Monroe, Elizabeth Taylor, Oskar Werner und Maria Callas als histrionisch bezeichnen. Aktuell zählen etwa Mariah Carey oder die Kardashians dazu. Auch Philip Seymour Hoffman und Luciano Pavarotti wiesen einen histrionischen Stil auf. Und als fiktive Figuren: Gollum, Audrey Hepburn als Holly Golightly, Bill Murray als Bob Wiley in Was ist mit Bob?

Was unterscheidet die histrionische Persönlichkeit von der narzisstischen?

Histrioniker wollen für andere Menschen wichtig sein: Sie wollen, dass andere sie brauchen und das auch zeigen. Histrioniker tun alles, um das zu bekommen. Narzissten wollen Anerkennung: Sie wollen Lob, bewundert werden, sie wollen keine Kritik und sind kritikempfindlich. Narzissten geht es meist um Leistung, darum, der Beste zu sein.

Gibt es mehr Frauen als Männer mit einem histrionischen Stil?

Es gibt mehr histrionische Frauen, obwohl die Männer in den vergangenen 20 Jahren aufholen. Für Männer wird es immer akzeptabler, auch dramatisch zu sein.

In Ihrem Buch beschreiben Sie das „Es ist alles in Ordnung, Schatz“–Spiel. Was hat es damit auf sich?

Histrioniker sind manipulativ: Sie wollen auf indirektem Weg Partner dazu bringen, etwas für sie zutun, was diese eigentlich nicht tun wollen. Dieses Spiel ist eine manipulative Strategie: Man will dem Partner durch die Art, wie man es sagt, deutlich machen, dass nichts in Ordnung ist, aber man sagt es so, dass der Vorwurf nicht offen ist, der Partner sich also nicht damit auseinandersetzen kann. Ziel ist, dass der Partner ein schlechtes Gewissen bekommt und tut, was man will.

Wie geht man am besten mit Histrionikern um?

Wenn man kann, gibt man ihnen Aufmerksamkeit: Denn das ist „Futter“. Die Person will das immer wieder von Neuem und braucht das. Daher ist es gut, ihr den Gefallen zu tun. Man sagt ihr, wie wichtig sie ist und dass man ohne sie nicht leben kann. Man sollte aber aufpassen, sich nicht zu stark „ausbeuten“ zu lassen: Wenn man etwas nicht will, sollte man das ebenso freundlich wie deutlich offen sagen und auch mal den Unmut des Histrionikers ertragen.

Kann man Histrioniker therapieren?

Ja, aber es ist eine Herausforderung für Therapeuten, denn die Histrioniker sehen oft nicht, dass ihr Handeln ihnen Probleme bereitet. Sie sehen eher „die anderen“ als Problem. Therapeuten müssen den Klienten deutlich machen, dass sie ihre Probleme selbst erzeugen und ihr Handeln deshalb selbst ändern müssen. Das hören Histrioniker ungern, und daher muss der Therapeut konfrontieren, was zu schwierigen Situationen führt. Es gibt aber gute therapeutische Strategien, um damit umzugehen.

Prof. Dr. Rainer Sachse, Diplompsychologe, ist Verhaltens- und Gesprächspsychotherapeut, Leiter des Instituts für Psychologische Psychotherapie in Bochum und lehrt klinische Psychologie an der dortigen Ruhr-Universität

Rainer Sachses Buch Histrioniker. Mit Dramatik, Manipulation und Egozentrik zum Erfolg ist bei Klett-Cotta erschienen (120 S., € 14,95)

Artikel zum Thema
Histrioniker sind schillernde Persönlichkeiten mit dem großen Bedürfnis, gesehen zu werden. Was steckt hinter dem Verlangen?
Was ist eigentlich ein Persönlichkeitsstil? Prof. Dr. Rainer Sachse, Leiter des Bochumer Instituts für Psychologische Psychotherapie, im Interview.
Gabriele Michel rezensiert das Buch von Annette Bauer über Scannerpersönlichkeiten.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2017: Beziehungsfähig!
Anzeige
Psychologie Heute Compact 79: Das Leben aufräumen