Sie sagen, Achtsamkeit und Emotionsregulation stünden in gewisser Weise miteinander im Widerspruch. Warum?
Achtsam zu sein bedeutet, die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu richten sowie sich auf die eigenen Gefühle zu konzentrieren und das aktuelle Befinden oder diesen Zustand dann zu akzeptieren, aber nicht zu bewerten. An dieser Stelle gibt es eine gewisse Nähe zur Emotionsregulation. Aber bei dieser geht es ausdrücklich um mehr, nämlich um die Fähigkeit, mit eigenen Gefühlen bewusst umzugehen und sie zu nutzen, um Probleme zu lösen oder die eigene Situation zu verbessern.
Emotionsregulation betrifft nicht nur negative, sondern ausdrücklich auch positive Gefühle. Manche leistungsorientierte Menschen stürzen sich beispielsweise nach einem Erfolg sofort auf das nächste Problem, ohne den Erfolg genießen zu können.
Wann kann Achtsamkeit ein Problem sein?
Wenn ich Dinge zwar wahrnehme, wie sie sind, aber nicht ändere, was geändert werden müsste. Etwa wenn ich schlecht behandelt werde, wie es in einer toxischen Beziehung vorkommen kann. Oder wenn ich unzufrieden bin und auf Veränderung hoffe, aber nichts tue.
Sie haben Menschen verglichen, die von Natur aus sehr achtsam sind oder eben nicht, und sie nach dem Umgang mit Gefühlen gefragt. Was war das Ergebnis?
Besonders achtsamen Personen, die eher schlecht waren bei der Emotionsregulation, ging es schlecht. Das kann bedeuten: Wenn man sehr stark auf das eigene Befinden fokussiert und zugleich kaum fähig ist, mit eigener Kraft aus schlechter Stimmung herauszukommen, dann setzt wahrscheinlich eine Grübelspirale ein. Hier wäre die Fähigkeit, mit Gefühlen umzugehen, wichtig – diese lässt sich glücklicherweise trainieren.
Wie hilft eine gute Gefühlsregulation?
Wer ein größeres Repertoire an Strategien hat, seine eigenen Gefühle zu managen, ist im Vorteil. Manchmal hilft es, in einer ganz konkreten Situation, wenn mich etwas sehr ärgert beispielsweise, erst einmal abzuwarten, vielleicht den Raum zu verlassen und sich mit dem Problem gedanklich auseinanderzusetzen oder Abstand zu gewinnen – und erst dann nach einer Lösung zu suchen. Oder ich übe mich, meine persönlichen Erfolge zu genießen, bevor ich wieder zur Tagesordnung übergehe.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Achtsamkeit als therapeutisches Instrument?
Achtsamkeit kommt aus einer östlichen Tradition, sie hat Ähnlichkeit mit Meditation. Wer meditiert, kann lernen, eigene Gefühle besser wahrzunehmen, denn oft ist es nicht eindeutig, was wir fühlen: Mit heftigem Ärger lässt sich auch Trauer kaschieren. Ich empfehle immer, dass man zu seriösen Trainerinnen oder Trainern geht, die ein Anfangsscreening machen und prüfen, ob Achtsamkeit für die Person gut ist. Auch beim Umgang mit Gefühlen ist Anleitung und Übung sinnvoll.
Literatur
Sevgi Serhatolu u.a.: When mindfulness becomes a mental health risk: The relevance of emotion regulation difficulties and need frustration. The Journal of Psychology, 2022, DOI: 10.1080/00223980.2022.2048777
Astrid Schütz ist Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Leiterin des Kompetenzzentrums für Angewandte Personalpsychologie an der Universität Bamberg. Sie hat Bücher, Trainings und Testverfahren zu Themen wie emotionale Kompetenz, Stressbewältigung und positives Denken veröffentlicht