Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch irgendwie mehr Glück. Es hatte zu tun mit Schicksal und Lebensumständen. Glück ist inzwischen eine Frage des Charakters – und der Wahl: Entscheidet man sich für Arbeitsethos, Optimismus und den Glauben, allzeit jeden Rückschlag zu überwinden, wird man Erfolg haben – und glücklich sein.
Glückliche Menschen sind Gewinner, die ihr Glück also selbst verdient haben. Diese im nordamerikanischen Unterbewusstsein verankerte Ideologie wird in Hollywood- und TV-Produktionen unterschiedlich subtil transportiert. Glück ist das finale Ziel des Selbstoptimierungssyndroms: Wer nicht glücklich ist, hat sich nicht genug angestrengt.
Pursuit of happiness, das Streben nach Glück (Unabhängigkeitserklärung der USA), ist heute das „zentrale Merkmal unseres Idealbilds vom guten Bürger“, so der Psychologieprofessor Edgar Cabanas und die Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch Das Glücksdiktat.
Sie setzen sich zum Ziel, den „Glücksdiskurs“ zu sezieren. Dessen wissenschaftliche Grundlage erscheint ihnen fragil und fragwürdig. Ihre Argumentation ist freimütig: Die sogenannte Glücksforschung? Eine Pseudowissenschaft. Deren Argumentationsketten? Schwach, fehlerbehaftet, pauschalisierend.
Apologie des Glücks
Darüber hinaus fragen sie aus soziologischem Blickwinkel: Wer profitiert eigentlich von der propagierten Idee des Glücks – wirtschaftlich, politisch, kommerziell? Welchen gesellschaftlichen Akteuren nutzt diese Instrumentalisierung? Und was bedeutet das für Gesellschaften als Ganzes? Die Antwort der Autoren lautet: Glück ist der Sand, den der Neoliberalismus seit knapp zwei Generationen allen in die Augen streut. Lebenskonzeptuell ergeben sich so Extremindividualisierung und Atomisierung.
Zuletzt, so die beiden Autoren, akzentuierten die Apologeten des Glücks, dass dies stets flüchtig sei und somit der Hilfe bedürfe. Diese wiederum stelle ein therapeutischer Markt zur Verfügung, der den Fokus auf Egodienstleistungen für obsessiv auf Glück hoffende Einzelne richte.
Die Streitschrift des Autorenduos ist anregend und in ihrer Ausrichtung dezidiert radikalprogressiv. Vor allem die Analyse der Zirkelschlüsse des Glücksdiktats ist luzide: Wer zu wenig in das eigene Glück „investiert“, muss sich nicht wundern, wenn sich Glück nicht einstellen will.
Fachlich nehmen sich Illouz und Cabanas die positive Psychologie vor, deren Hauptvertreter Martin Seligman ist. Cabanas und Illouz überspitzen ihre Kritik an den Konzepten des US-Amerikaners, die, wie sie pointiert formulieren, genau jene Unzufriedenheit erzeugten und verstärkten, die zu heilen sie versprächen. Am Ende macht die Lektüre zwar nicht glücklicher. Dafür erscheint Etliches konturierter.
Edgar Cabanas und Eva Illouz: Das Glücksdiktat. Und wie es unser Leben beherrscht. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp, Berlin 2019, 242 S., € 15,–