Mit Negativität zum Glück

Nur Optimismus macht glücklich! Ganz so ist das nicht, behauptet Oliver Burkeman. Pessimismus kann ebenso gesund und produktiv sein.

Ein Bücherstapel mit den Büchern, die in Ausgabe 1/2025 des Magazins Psychologie Heute vorgestellt werden
Das ist der Bücherstapel der Rezensionen aus der Januarausgabe 2025. © Psychologie Heute

Was bedeutet Glück? Streben wir vergeblich danach? Gehen wir dabei den falschen Weg? Das Buch von Oliver Burkeman nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch die Welt des „Gesetzes der Umkehrung“ und auf die Suche nach einem Gegenmittel gegen den allgegenwärtigen Glückskult und das Postulat des positiven Denkens.

Es beginnt mit dem Besuch eines Motivationsseminars von Dr. Robert H. Schuller, von „Amerikas beliebtestem Motivationsseminar für Unternehmen“. Viele Unternehmen schicken ihre Mitarbeitenden zur Fortbildung dorthin. Dabei ist die Lehre des positiven Denkens denkbar banal: „Entscheiden Sie sich dafür, glückliche und erfolgreiche Gedanken zu haben – verbannen Sie die Gespenster der Traurigkeit und des Versagens –, und Glück und Erfolg werden sich einstellen.“ Wer das dann kritisiert, hat die Macht des Positiven nicht begriffen.

Zielfreiheit macht glücklicher

Doch so einfach ist es nicht. Die immense „Glücksindustrie“ (Selbsthilfebücher, Seminare) reicht nicht aus, um landesweites Glück zu erzeugen. „Es ist vielmehr zu vermuten, dass es die Lage eher verschlimmert“, so Oliver Burkeman. Denn das Streben nach Glück sei oft genau das, was uns schließlich unglücklich mache. Um wirklich glücklich zu werden, so sagen viele Forscher und Forscherinnen, müssen wir mehr negative Emotionen zulassen oder wenigstens aufhören, vor ihnen davonzulaufen. Manche Psychologinnen und Psychologen seien sogar zu dem Schluss gekommen, dass Pessimismus ebenso gesund und produktiv sein kann wie Optimismus. Denn allzu oft sei das Ergebnis, das wir zu vermeiden versuchen, genau das, was uns magisch anzieht („Denken Sie nicht an den blauen Elefanten“). Es ist also verzwickt mit dem positiven Denken.

Die Reisen des Autors führen ihn zu einem einwöchigen buddhistischen Meditationsseminar in die Wälder von Massachusetts, nach Mexiko, wo der Tod gefeiert wird, und nach Kibera – in den größten und bitterarmen Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi. Dort erfährt er, dass Menschen, die in extrem prekären Verhältnissen leben, durchaus glücklich sind, aber nicht weil sie wenig Geld haben, sondern weil sie stärker in Beziehungen investieren.

Denn Glück ist subjektiv. So trifft es moderne Stoiker, die sich negativen Erfahrungen und Gefühlen zuwenden, statt sie zu vermeiden, und sie genau untersuchen. Denn nichts ist positiv oder negativ, es sind lediglich Ereignisse. Was Leid verursacht, sind die Vorstellungen, die man über sie hat. Innere Gelassenheit gewinnt man durch die negative Visualisierung des Worst-Case-Szenarios. Dann begreift man, dass es etwas ist, mit dem man zurechtkommt, und die eigenen Ängste daher irrational sind. Oder wie der Psychologe und Erfinder der rational-emotiven Verhaltenstherapie Albert Ellis sagte: „Das Schlimmste an einem Ereignis ist der übersteigerte Glaube an seine Schrecken.“

Auch das Setzen von Zielen nimmt Burkeman sich vor. Schließlich werden ehrgeizige und spezifische Ziele in zahlreichen Selbsthilfebüchern als Schlüssel zum erfolgreichen Leben angepriesen. Keine Unternehmerin könne erfolgreich werden ohne Geschäftsplan mit klaren Zielen. Doch genau diese Zielbesessenheit führe oft zu Schwierigkeiten und unbeabsichtigten Folgen, weil man andere Aspekte vernachlässige. Oder wie der Berater Stephen Shapiro sagt: „Ein zielfreies Leben macht die Menschen einfach glücklicher.“

Die Fähigkeit, negativ eingestellt zu sein

Das alles erscheint paradox und widersprüchlich. Aber letztlich handeln alle Ansätze von der Fähigkeit zur Negativität, und die sei letztlich nur ein anderer Begriff für das Leben nach dem umgekehrten Gesetz. Es gehe darum, auszuhalten, dass eines der eigenen Projekte gerade kein klar definiertes Ziel hat, einen Misserfolg zuzulassen und genau anzuschauen, Gefühle von Unsicherheit nicht mehr beiseitezuschieben und damit aufzuhören, auf gängige Motivationstechniken zurückzugreifen. Es sei die Akzeptanz der Unvollkommenheit und das Loslassen der Suche nach Lösungen, die zu echtem Glück führten. Und diese Art von Glück habe nicht das Geringste mit den simplen Oberflächlichkeiten des positiven Denkens zu tun. Das Ganze sei viel schwieriger, aber auch authentischer.

Als preisgekrönter Autor versteht es Burkeman, unterhaltsam zu schreiben und selbst philosophisch abgehobene Überlegungen verständlich zu machen, oft mit einem Schuss Ironie. Wer schon immer wissen wollte, was es mit dem Glück wirklich auf sich hat, der findet in dem Buch einen klugen Leitfaden.

Oliver Burkeman: Das Glück ist mit den Realisten. Warum positives Denken überbewertet ist. Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heide Lutosch. Piper 2023, 288 S., € 22,–

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