„Man sieht nur, was man weiß.“ Mit diesem Slogan warb viele Jahre lang ein deutscher Kunstbuchverlag. Dann wurde er geschlossen. Rationalisierungen führten zur Einstellung. Braucht es überhaupt Wissen, um Kunst zu erfahren? Der britisch-schweizerische Essayist Alain de Botton meint: nein. Oft war er von Museen enttäuscht. Weil kein umwerfendes Erlebnis eintrat, er nichts Aufwühlendes oder Erhebendes spürte. Museen erscheinen ihm als kühle Wissenstempel falsch konzipiert.
Gemeinsam mit dem Philosophen John Armstrong, der an der University of Tasmania lehrt, beugt er sich über Kunst, Kunstbetrachtung und den Kunstmarkt und schlägt eine Revision der Museen wie des Umgangs mit Kunst vor: als Werkzeug emotionaler Selbstoptimierung. Weg von aufklärender Erklärung, hin zu gefühligen Wellnessmaßnahmen, um Stimmungsschwankungen der Psyche auszutarieren.
Der Bankierssohn de Botton, 1969 geboren und schon als Promotionsstudent Autor eines Bestsellers über Lebenskunst, hat viele Bücher geschrieben: über Religion, Architektur und Langeweile, das Nachrichtenwesen oder Statusangst. Im Grunde interessiert er sich in seinem Buch Wie Kunst Ihr Leben verändern kann weder für Kunst noch für künstlerische Werke. Er sieht sie allesamt als geschichtsloser Spaziergänger mit westlich-liberaler Grundhaltung an. Was soll ihn dann ein Porträt eines viktorianischen Aristokraten interessieren, eine spätgotische Madonna, Dürers Rasenstück? So ergibt sich auch das Sammelsurium an extrem unterschiedlichen Bildern, an denen die beiden Autoren entlangschreiben.
Haarsträubende Fehler
Da auf wissenschaftliche Vorlektüre verzichtet wurde, erklären sich so auch die vielen haarsträubenden Fehler. Wieso auch, wenn die Lektüre von Büchern – ob nun Bettina Eggers Bilder verstehen, Rudolf Arnheims Kunst und Sehen oder Hans Beltings Bild-Anthropologie – dem entspricht, was die vom Autorenduo diffamierte Kunstwissenschaft praktiziert: Wissensbildung und Urteilsschärfung. Von Kunsttherapie oder eigenschöpferischer Tätigkeit ist an keiner einzigen Stelle die Rede.
Im Jahr 2014 lud der damalige Direktor des Rijksmuseums in Amsterdam de Botton und Armstrong ob ihres Buches für eine „Intervention“ ein. Sie brachten großformatige Zettel an. Die Absicht des Direktors Wim Pijbes war, die hohe Besucherfrequenz nochmals zu steigern. Dabei herrscht hier ohnehin schon genug Andrang – in den ersten zwölf Monaten nach der Wiedereröffnung 2013 wurden drei Millionen Besucher gezählt. Worauf Pijbes abzielte, war nicht Lebensveränderung, sondern Marketing. Dafür eignet sich dieses Buch. Denn: Die beiden schreiben nicht. Sie palavern. Oberflächlich, eitel, beklemmend banal. Fast erwartet man eine baldige Ausgabe als Kalenderspruchblätter. Es ist so recht erschütternd, dass diesen Text, begleitet von 141 gut reproduzierten Abbildungen, davon fast alle in Farbe, ein Verlag herausbringt, der sich kritischer Aufklärung verpflichtet fühlt und moderne Klassiker der Psychologie von Wilfred Bion bis Viktor von Weizsäcker edierte.
Alain de Botton, John Armstrong: Wie Kunst Ihr Leben verändern kann. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Suhrkamp, Berlin 2017, 240 S., € 17,95