„Bitte, sei doch ein normaler Vater“

Braucht gute Erziehung eine überdachte Männlichkeit? Von der alten zur modernen Vaterrolle: Zwei sehr unterschiedliche Bücher geben Impulse.

Die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert bietet in ihrem wissenschaftlich fundierten und lehrreichen Buch Auf die Väter kommt es an einen nuancierten Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Vaterschaft. 2013 gründete sie mit sechs Forschungsteams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einen Wissenschaftsverbund – das Central European Network on ­Fatherhood –, dem wir zahlreiche erkenntnisreiche Studien verdanken.

Vielen Untersuchungen zufolge verbringen Väter aufgrund von höheren Erwartungen an die Karriere noch immer weniger Zeit mit ihren Kindern. Diese Erwartungen gehen von Männern und Frauen aus. Die meisten Väter wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder.

Skepsis und Kreativität

Ahnert belegt, wie uns biologische Unterschiede und traditionelle Geschlechterstereotype weitgehend unbewusst einengen, wenn auch in abnehmendem Maß. Die Entwicklungspsychologin zeigt aber auch, dass Vaterinstinkte ebenso stark und tief verwurzelt sind wie Mutterinstinkte. Auch die Vaterliebe weckt das mächtige Bedürfnis, die eigenen Kinder mit allen Kräften zu unterstützen. Eine glückliche Vaterschaft wirkt sich positiv auf die gesamte Familie aus. Zudem weist Ahnert nach, dass der Testosteronspiegel von Vätern beim liebevollen Umgang und Kuscheln mit Kindern sinkt, beim wilden Toben jedoch ansteigt.

Anhand von einer großen Vielfalt an Studien legt Ahnert dar, wie gut sich die typischen Stärken väterlicher und mütterlicher Erziehungsstile häufig ergänzen. So ermuntern Väter öfter zu Skepsis und Kreativität. Sie fördern Mut und Selbstvertrauen, weil sie Kindern mehr zutrauen. Sie spielen wildere Bewegungs- und Raufspiele, die die soziale Entwicklung positiv beeinflussen. In schwierigen Situationen lenken Mütter die Aufmerksamkeit des Kindes öfter auf Emotionen, Väter dagegen auf Lösungsstrategien. Aktive Väter entwickeln eine sichere Bindung, die die Entwicklung des Kindes unabhängig von der Bindung zur Mutter fördert.

Ahnerts inspirierendes Werk zeigt, dass Väter und Mütter glückliche Kinder heranziehen, wenn sie die Stärken des anderen Elternteils wertschätzen.

Geschlechterrollen sind harte, kleine Käfige

Der US-Autor und Journalist Jordan Shapiro hat eine hochideologische Kampfschrift verfasst, die sich wie eine Karikatur auf Woke-Absurditäten liest. How to Be a Feminist Dad ruft zu einer umfassenden Kulturrevolution auf, die auf die völlige Abschaffung der Geschlechtsidentitäten zielt. Er unterstreicht, dass Väter ebenso gut Kinder erziehen können wie Mütter, wenn – und nur wenn – sie die eigene Männlichkeit überwinden und ihre Kinder nicht mehr als Jungen und Mädchen ansprechen und behandeln.

Die These, dass Kinder männliche Vorbilder benötigen, betrachtet er als Gefahr, da „alle Signifikanten der Männlichkeit in die Irre führen“. Shapiro warnt davor, „sich liebevoll an die Zeiten zu erinnern, in denen Papa uns beigebracht hat, wie man einen platten Reifen repariert, einen Fußball wirft oder Fahrrad fährt“, und daraus „eine inspirierende Lebenslektion“ abzuleiten. Solche Erinnerungen seien nur die „scheinbar rosige Seite der patriarchalen Autorität“, die Geschlechterrollen nichts als „harte, kleine Käfige“.

In unnötig komplizierten Worten wiederholt der Autor die stets gleichen Thesen, die entweder trivial oder falsch sind: Richtig ist etwa, dass Biologie kein Schicksal ist. Doch die Behauptung, es gebe keine biologischen Einflüsse, die die Psyche von Männern und Frauen nennenswert prägen, ist wissenschaftlich widerlegt. Andere Thesen des Autors widersprechen sich. Erst behauptet er, die patriarchale Arbeitsteilung sei ein „Produkt des Industriezeitalters“. Später bespricht er patriarchale Normen in vormodernen Märchen, Mythen und heiligen Schriften.

Shapiro zitiert wissenschaftliche Studien, denen zufolge Kinder von schwulen und lesbischen Eltern ebenso glückliche und erfolgreiche Erwachsene werden wie Kinder von Hetero-Eltern. Er folgert daraus zu Recht, dass Männer klassische Mutterrollen und Frauen klassische Väterrollen übernehmen können.

"Es gibt keinen normalen Vater"

„Vor der latenten Frauenfeindlichkeit der Kernfamilie gibt es kein Entrinnen“, schreibt Shapiro. „Ich verkünde meine feministischen Absichten regelmäßig vor der ganzen Familie.“ Er streitet für eine Erziehung, die alle Bedürfnisse von Kindern ernst nimmt, außer dem Wunsch, ein Junge oder Mädchen zu sein. Er gesteht, dass sein jüngerer Sohn ihn bat, „ein normaler Vater“ zu sein, und die Angst äußerte, eines Tages in Therapie zu müssen, weil sein Vater ihn selbst bei den Hausaufgaben mit Genderthemen nerve. Doch sein Vater beharrt darauf, „dass es kein Normal gibt“.

Shapiro stellt alles infrage – außer die eigenen Woke-Dogmen. Wie unter Beichtzwang schreibt er über die eigenen Privilegien. Nie kommt ihm in den Sinn, dass die meisten Frauen weltweit weitaus ernstere Probleme haben als rosa Barbiekleider oder Jungs, die sich als Superhelden aufspielen. Sie müssen das Patriarchat nicht erst mit der Lupe suchen, sondern ringen mit Unterdrückung und Ausbeutung. Nur Menschen mit viel Geld, Zeit, Bildung und Insiderwissen können seine zahlreichen kleinkarierten Benimmregeln befolgen. Shapiros Feminismus ist nicht radikal, sondern elitär.

Jordan Shapiro: How to Be a Feminist Dad. Warum unsere Kinder neue Väter brauchen. Aus dem Amerikanischen von Nadine Lipp. Goldmann 2023, 272 S., € 12,–

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