Die amerikanische Journalistin Gemma Hartley schildert ihren Alltag mit drei Kindern, in dem sie als berufstätige Frau – trotz Ehemann – für nahezu alles zuständig ist: Sie muss die Zahnarzttermine für die Kinder machen, an den Geburtstag der Schwiegermutter denken, die Socken des Ehemanns vom Boden aufheben, den Füllzustand des Kühlschranks im Blick behalten.
Und sie grollt: „Wenn die Milch ausgetrunken ist, setze ich sie auf die Einkaufsliste, auch wenn er den letzten Rest ausgetrunken hat.“ Erwähnt sie das, sagt er lieb und willig, sie müsse ihm doch nur sagen, was er machen solle. Was ihr bereits brodelndes Wutfass zum Überlaufen bringt, denn auch Delegieren ist Arbeit: Sie muss die To-do-Listen der Familie im Kopf haben, ihn oft (in freundlich-ungenervtem Ton, sonst hängt der Haussegen schief) an seine Aufgaben erinnern – nur um festzustellen, dass er diese nicht oder nur auf unzulängliche Weise erledigt. Spätestens hier werden viele Frauen mit Nicken kaum noch nachkommen – das alles kennen sie nur zu gut.
Die Unmenge an Leistungen, die Frauen unsichtbar erbringen müssen, nennt Hartley emotional labor, Gefühls- oder Kümmerarbeit. Der Begriff stammt von der Emotionssoziologin Arlie Russell Hochschild, sie bezeichnet damit Dienstleistungen, zu denen Gefühlsmanagement gehört.
Klagende Autobiografie
Eine Stewardess muss nicht nur Saft servieren, sie muss die eigenen Gefühle und die der Passagiere im Blick behalten, um eine „emotional angenehme Atmosphäre“ zu sichern. Hartley überträgt diesen Begriff auf das Privatleben und gerät damit ins Uferlose: Gefühlsarbeit wird alles, vom abendlichen Aufräumen der Küche bis zum sensiblen Umgang mit der plötzlichen Arbeitslosigkeit ihres Mannes; eine Frau muss durch unablässiges Wischen, Planen und Einfühlen dafür sorgen, dass sich „Menschen in ihrem Umfeld wohlfühlen und glücklich sind“.
In die zunächst begeisterte Zustimmung mischt sich Unbehagen: Wer diktiert in Familien die Standards? Wer setzt sie wie durch? Was bedeutet „wohlfühlen“? Ist es den Kindern nicht egal, ob die Kiste, die ihr Vater in den Schrank zurückräumen müsste, zehn Minuten oder zehn Wochen im Flur steht?
Geht es darum, Männer von ihrer „toxischen Männlichkeit“ zu befreien, wie Hartley schreibt? Ihnen endlich einzutrichtern, was ihnen in der Kindheit nicht oder nur unzureichend beigebracht wurde: empathisch vorausschauendes Denken, Ordnungssinn, die Antizipation der Gefühle anderer?
Hartleys ermüdend redundant vorgetragene Klage, dass an ihr als Frau zu viel hängt und sie dafür keine Anerkennung bekommt, ist begründet und oft nachvollziehbar. Aber sie kreist nur um die heterosexuelle Kleinfamilie, alternative Formen des Zusammenlebens interessieren sie nicht. Nach 350 Seiten hat ihr Mann dazugelernt und sie erkannt, dass sie von sich selbst und von ihrem Mann ein unrealistisches Maß an Perfektion verlangt hat. Happy End.
Doch Hartleys Buch ist keine soziologische Studie – es ist eine verkappte Autobiografie.
Gemma Hartley: Es reicht. Warum Familien- und Beziehungsarbeit nicht nur Sache der Frau ist. Aus dem Amerikanischen von Judith Elze und Katrin Harlaß. Goldmann, München 2019, 381 S., € 18,–