Wenn ein Wort das andere gibt

Was tun bei einem heftigem Streit mit dem Partner oder der Partnerin? Richtige Kommunikation allein reicht nicht.

Illustration zeigt ein Paar, das sich mit herzbestückten Latten bekämpft
Stopp! Im Namen der Liebe! © Susann Stefanizen

„Was ist das häufigste Problem in Ihrer Beziehung?“ Diese Frage stellte das wissenschaftlich begleitete Onlineberatungsprojekt Theratalk in einer Studie und erhielt eine klare Antwort von den Befragten: Sie waren am unzufriedensten mit dem Gesprächsverhalten in der Partnerschaft. Auch die Diplompsychologin und Paartherapeutin Sandra Konrad trifft in ihrer Hamburger Praxis immer wieder auf Paare, bei denen Vorwürfe, Angriffe, Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen alltäglich sind. Dabei, so Konrad, spielt Kommunikation eine Hauptrolle für die Zufriedenheit in einer Beziehung. „Verstanden zu werden ist das schönste Gefühl der Welt“, sagt die Psychotherapeutin. Doch viele Paare gerieten irgendwann in eine Abwärtsspirale aus Abwertung, Streit und verstocktem Schweigen.

John Gottman, Psychologieprofessor an der University of Washington und Mitbegründer des Seattle Marital and Family Institute, hat Gespräche streitender Paare auf Video aufgezeichnet und analysiert. Er hält Paare dann für trennungsgefährdet, wenn sie ein Problemgespräch mit einem „groben Auftakt“ einleiten, also zynisch oder sarkastisch werden, und im Streit dann zu jenen Mitteln greifen, die Gottman die „vier apokalyptischen Reiter“ nennt: Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern. Diese verbalen und nonverbalen Giftpfeile lösen Gottman zufolge häufig bei mindestens einem Partner das sogenannte flooding aus. Der Partner wird von Stressreaktionen wie erhöhter Pulsfrequenz, hohem Blutdruck oder Schweißausbruch regelrecht überflutet. Die destruktiven Wortgefechte erzeugen demnach ein körperlich messbares Unbehagen.

Den anderen durch Druck verändern wollen

Wie kann es sein, dass diese destruktiven Mechanismen die romantischen Gefühle aus der Phase akuter Verliebtheit verdrängen? Was macht aus Liebenden Einzelkämpfer? Unsere Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend prägen nachhaltig, wie wir miteinander kommunizieren. Im Guten wie im Schlechten. Wer das Glück hat, in einer Familie mit einer Gesprächskultur aufzuwachsen, in der jeder sagen kann, was ihm wichtig ist, und das auch beachtet wird, bringt eine gute Ausstattung für sein Beziehungsleben mit. „Viele sind aber in Familien aufgewachsen, wo Bedürfnisse weder wahrgenommen noch angesprochen wurden“, sagt Sandra Konrad.

Auch der Göttinger Paartherapeut Ragnar Beer macht immer wieder die Erfahrung, dass viele Paare von ihren Eltern vor allem negative Verhaltensweisen übernehmen. „Das erlernte Gesprächsverhalten läuft dann ganz automatisch in der aktuellen Beziehung ab, ohne dass uns das bewusst ist“, sagt Beer. Diese starren Kommunikationsschienen führten bei Streits zur Eskalation und erzeugten ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts. Jeder kennt das: Ein Wort ergibt das andere. Wir springen auf Reizwörter an und schießen zurück. Aus Liebeshöhlen werden Schützengräben.

„Nach der Startphase neigen fast alle dazu, ihren Partner nacherziehen zu wollen“, sagt Franz Thurmaier, der das Institut für Forschung und Ausbildung in Kommunikationstherapie in München leitet. „In vielen Beziehungen schleicht sich eine defizitär orientierte Sprache ein. Dies ist ein schleichender Prozess. Die Partner bestrafen sich gegenseitig: mit Abwertungen, Liebesentzug oder Vorwürfen.“ Der Versuch, den anderen durch Druck zu verändern, vergifte immer stärker das Beziehungsklima. In vielen dieser Beziehungen gebe es entweder eine Eskalation des Streits oder eine Eskalation des Schweigens. „Beide Muster sind extrem belastend“, sagt Thurmaier. Denn Schweigen ist oftmals eine Vermeidungsstrategie. Um das Beziehungsklima nicht noch weiter zu vergiften, finden schließlich überhaupt keine Gespräche mehr statt. Die Folge: Die verzweifelt Liebenden driften auseinander und entfremden sich immer mehr. Für solche Paare hat Thurmaier mit einem Kollegen das „Kommunikationskompetenztraining“ entwickelt.

Wer über sich spricht, kann keine Vorwürfe machen

Das Programm, das beispielsweise in der kirchlichen Eheberatung eingesetzt wird, umfasst acht Sitzungen, die jeweils zweieinhalb Stunden dauern. Im Mittelpunkt stehen Gesprächsübungen von Paaren, die von zwei Trainern angeleitet und begleitet werden. Die Trainer vermitteln Regeln für die Gespräche und intervenieren, wenn einer von beiden die Regeln missachtet. „Die wichtigste Grundregel lautet: Sich öffnen und über sich selbst sprechen. Wenn ich darüber spreche, was mich bewegt, kann ich keine Vorwürfe machen“, erläutert Thurmaier. Also nicht: „Du kommst ständig zu spät.“ Sondern besser: „Wenn du zu spät kommst, bin ich angespannt und mache mir Sorgen.“ Die zweite wichtige Regel: Konkret sprechen, nicht verallgemeinern. Der zuhörende Partner fasst kurz zusammen, was er verstanden hat, um ritualisierte Missverständnisse zu vermeiden. „Die Kommunikationsregeln sind wie ein Werkzeugkasten, aus dem man sich flexibel bedient“, so Thurmaier. Das Training stärke das Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein Effekt sei, „dass wieder Nähe und Intimität entstehen können“.

Die Ratgeberliteratur füttert Interessierte mit einem ganzen Arsenal von Kommunikationsregeln. Wohl jeder, der sich reflektierend mit Liebesbeziehungen beschäftigt hat, hat schon von „Ich-Botschaften“ und „Du-Botschaften“ gehört. Gute Kommunikation sei jedoch mehr als die rigide Anwendung von Skills, warnt Psychotherapeut Beer. „Es passiert häufig, dass jemand in einem Seminar etwa die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg kennenlernt und das dann zu Hause ausprobiert, dabei aber redet wie ein Roboter.“ Viele wendeten dann das Erlernte nicht nur unflexibel an, sondern werteten womöglich jede Abweichung von diesem Raster als Angriff. „Der Partner wird dieses Gesprächsverhalten zu Recht als Manipulationsversuch werten“, sagt Beer. „Die Gefahr des Missbrauchs von Skills ist groß, wenn man nicht lernt, sie vernünftig einzusetzen, das heißt: nicht als Druckmittel. Viel wichtiger ist: Sich zeigen! Das lernt man eher nicht durch ein Ratgeberbuch.“

Offenheit wagen

Dem Kern vieler Kommunikationsprobleme komme man mit simplen Fragen auf die Spur, erklärt Beer: „Gebe ich etwas von mir preis? Zeige ich mich? Viele kennen sich selbst zu wenig, um über sich Auskunft geben zu können. Diese blinden Flecken machen es schwer, dem anderen mitzuteilen, was man möchte und braucht.“ Dass es vielen so schwerfällt, die eigenen Bedürfnisse offen anzusprechen, hat auch damit zu tun, dass Liebesbeziehungen nach ganz anderen Regeln funktionieren als andere wichtige Lebensbereiche. „Im Beruf ist es in der Regel wichtig, sich gerade nicht zu zeigen, sondern sich im Gegenteil mit seinen Emotionen zu verstecken“, sagt Beer. Ein Kommunikationsstil, der die Karriereleiter hinaufführt, kann Liebesbeziehungen in tiefe Krisen stürzen. Franz Thurmaier gibt Ehepaaren, die er berät, als Hausaufgabe Reflexionsbögen mit. Darin sollen sie notieren, in welchen Situationen sie Wut und Ärger spüren, in welchen Glück und Zufriedenheit. „Nur wer sich selbst kennt, kann konkret über sich Auskunft geben“, sagt Thurmaier.

Doch wie viel Offenheit ist das richtige Maß in der Liebe? Kommunikationswissenschaftler Thurmaier räumt mit einem populären Missverständnis auf: „Als Eheberater sage ich nicht, ihr müsst euch alles sagen, sondern: Es wäre schön, wenn ihr euch alles sagen könnt, was euch wichtig ist.“ Jede Beziehung bestehe aus zwei Ichs und einem Wir, ergänzt Paartherapeutin Konrad: „Eine glückliche Beziehung braucht sowohl Autonomie als auch Gemeinsamkeit. Offen zu sein meint nicht, dem anderen alles sagen zu müssen.“ Die Fantasie sei die geheime Welt jedes Einzelnen. Jeder entscheide für sich, wie viel er dem Partner davon zeigen möchte: „Der Schlüssel ist Vertrauen.“ Nicht der gläserne Geliebte ist das Ideal, sondern der Freigeist, der nichts verheimlichen muss.

Damit sich die Liebe auf Dauer nicht in eine Kampfzone verwandelt, braucht es ein stabiles Selbstwertgefühl, um eigene Bedürfnisse offen anzusprechen. Und es braucht den Glauben, dass der geliebte Mensch das in ihn gesetzte Vertrauen nicht missbrauchen wird. John Gottman hält die partnerschaftliche Abstimmung mithilfe dieser Eigenschaften für erfolgversprechender als stupides Training von Gesprächstechniken: „Häufig lernen Paare zwar, die richtigen Worte nachzuplappern, entwickeln jedoch kein tiefergehendes Verständnis füreinander.“ Mit der Liebe sei es ein wenig so, als würde man eine Fremdsprache lernen.

Stopp! Im Namen der Liebe

Wer gemeinsam in eine Negativspirale der Abwertung geraten ist, muss da erst mal wieder raus. In der Paartherapie gibt Sandra Konrad den Zerstrittenen daher zunächst Sofortmaßnahmen mit nach Hause: „Erstens ein Stoppwort für destruktiven Streit zu vereinbaren und einzuhalten.“ Wenn man sich im Streit nur noch verletzend im Kreis dreht, ist es sinnvoll, sich zu vertagen. Damit sich aber derjenige, der „Stopp“ sagt, nicht um die notwendige Klärung des Konflikts drücken kann, verspricht er, das verschobene Gespräch innerhalb eines Tages nachzuholen, wenn die reflexhafte Wut verraucht ist und beide Gelegenheit hatten, Verhalten und Argumente zu überdenken. „Zweitens stelle ich die Fünf-zu-eins-Regel vor“, erläutert Sandra Konrad. „Um eine Kritik auszugleichen, braucht es fünf positive Begegnungen, beispielsweise durch Lob und Anerkennung.“ Darüber hinaus ermutigt die Paartherapeutin die Partner zu regelmäßigen Dates – ohne Kinder. Wenn sie Eltern in der Krise frage, wann sie zuletzt etwas zu zweit unternommen hätten, fingen einige an zu rechnen: Das müsste vor der Geburt des Jüngsten gewesen sein. Also vor drei Jahren. Oder waren es vier? „Paare verlieren sich, weil sie keine Zeit mehr miteinander verbringen“, so Konrad. „Die sind dann noch ein gutes Team und funktionieren als Eltern, aber sie sind kein Liebespaar mehr. Wenn man keine Zeit mehr miteinander verbringt, wie sollen dann Nähe und Intimität entstehen?“

Viele Paare merken gar nicht, dass ihnen zwischen dem Job, den Kindern und sonstigen Verpflichtungen nicht nur die Worte ausgehen, sondern auch die Zärtlichkeiten. Die Sprache der Liebe funktioniert aber nicht nur verbal, sondern auch nonverbal. „Worte und liebevolle Berührungen gehen in glücklichen Beziehungen Hand in Hand“, sagt Sexualwissenschaftler Ragnar Beer. In einer Abwärtsspirale leide meistens auch die nonverbale Kommunikation. Die frustrierten Partner beginnen Vermeidungsstrategien. Sie denkt: Wenn ich ihn jetzt anfasse, will er wieder Sex. Also streichle ich ihn lieber gar nicht. „Umarmungen, Küsse und Berührungen haben aber eine wichtige verbindende Funktion“, sagt Beer. „Sie schaffen und verstärken Bindung. Bleiben sie aus, leidet das Zusammengehörigkeitsgefühl.“

Strategien gegen den Dominoeffekt

In der Krise braucht es also zunächst Strategien gegen die Dominoeffekte des Streitens und des Rückzugs. Und es braucht Anregungen für gemeinsame Glücksmomente. „Wenn Paare sich voneinander entfernt haben, gilt es, die gemeinsamen Schnittmengen zu erkennen und wieder zu erweitern“, sagt Sandra Konrad. „Hilfreich ist, zu wissen, dass es unterschiedliche Sprachen der Liebe gibt.“ Der amerikanische Paartherapeut Gary Chapman unterscheidet zwischen Hilfsbereitschaft, Zärtlichkeit, Lob und Anerkennung, Zweisamkeit und Geschenken, die von Herzen kommen. Wie gut jemand diese verschiedenen Sprachen spricht, ist individuell verschieden. Jeder drückt seine Liebe auf seine ganz eigene Art aus.

Psychologin Konrad nennt ein Beispiel: Wenn ein Mann seine Liebe vor allem dadurch ausdrückt, dass er seine Frau nach Leibeskräften unterstützt und sich aufopferungsvoll um das gemeinsame Haus kümmert, ihre Sprache der Liebe aber Zärtlichkeit und Sexualität ist, wird sie sich ungeliebt fühlen. „Dann macht zwar jeder auf seine Weise alles richtig, und doch leiden beide“, analysiert die Paartherapeutin. „Erst wenn beide verstehen, welche Sprache der Liebe sie selbst sprechen und welche der Partner, können sie beginnen, Vokabeln der jeweils anderen Sprache zu lernen und zu nutzen, so dass die Liebesbeweise auch wirklich beim Partner ankommen.“

Ein Werkzeugkasten für die Liebe

Um die Streitspirale zu verlassen, helfen kognitive und emotionale Reparaturwerkzeuge:

  • Worum geht es? Definieren Sie zunächst den Konflikt.

  • Nicht den Fokus verlieren – bleiben Sie beim Thema!

  • Es geht im Konflikt nicht darum, den Partner zu besiegen – suchen Sie einen Kompromiss!

  • Sie werden laut, unterbrechen einander ständig und tauschen nur noch Vorwürfe aus? Dann brechen Sie die Diskussion ab und vertagen sich auf morgen!

  • Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Das ist besser als ein Missverständnis in einen Vorwurf zu verpacken.

  • Stimmen Sie zu, wenn der Partner recht hat.

  • Zeigen Sie dem Partner auch im Konflikt Ihre Zuneigung.

  • Zeigen Sie Verständnis für seine/ihre Gefühle.

  • Reden Sie sich nicht raus, sondern übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Handeln.

Aus dem Giftschrank der Langzeitbeziehung

Paartherapeuten berichten von alltäglichen Verletzungen, die sich Partner zufügen – und damit die Liebe in kleinen Dosen vergiften

  • Illoyalität

Einer der wichtigsten Auslöser gravierender Paarprobleme. Dazu gehören etwa Heimlichkeiten, die sich gegen den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Treuevertrag der Beziehung richten. Auch vor anderen schlecht über den Partner zu reden sollte tabu sein.

  • Verachtung

Jeder hat Schwächen. Sie zum Gegenstand von herabwürdigenden Witzen zu machen ist respektlos. Vorsicht mit allem, was beim Partner Scham erzeugt.

  • Gängeln und Nörgeln

Keiner ist wie der andere. Die eigenen Prioritäten müssen nicht die des Partners sein. Wenn also Verhaltensweisen beim anderen stören, ist es besser, konkrete Wünsche und Bitten zu formulieren, als permanent herumzumäkeln.

  • Gleichgültigkeit

Oft ist jeder im Alltag so mit sich beschäftigt, dass er das Befinden und die Bedürfnisse des Partners nur schlecht wahrnimmt. Aufrichtiges Interesse an den Gefühlen, Sorgen und Wünschen des anderen ist aber eine Voraussetzung dafür, sich nah zu sein. Rituale wie gemeinsame Spaziergänge können helfen, die richtige Gesprächsatmosphäre für einen intensiven Austausch zu schaffen.

  • Kritik

In vielen Beziehungen achten Partner nur noch auf die Fehler und Defizite des anderen. Anstatt beständig zu thematisieren, was nicht klappt, oder dem anderen Charakterschwächen vorzuhalten, sollten Lob und Anerkennung fester Bestandteil der Kommunikation sein.

Literatur

Sandra Konrad: Liebe machen. Wie Beziehungen wirklich gelingen. Piper 2016

John M. Gottman, Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe. Ullstein, 5. Auflage 2017

John Gottman, Nan Silver: Die Vermessung der Liebe. Klett-Cotta, 5. Auflage 2017

Franz Thurmaier, Joachim Engl: Wie redest du mit mir? Fehler und Möglichkeiten in der Paarkommunikation. Herder 2012

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2018: Die Stärke der Stillen
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