Einen Moment Ruhe. Das ist alles, was sie will. Aber: keine Chance. „Entschuldigen Sie, junge Frau“, nähert er sich ihr von hinten. „Ich war vorhin bei Ihrer Lesung und möchte Ihnen dazu gerne noch was sagen…“ Sie dreht sich nur halb zu ihm um. Jetzt bloß nicht lächeln. Keine falsche Höflichkeit. Vielleicht zieht er sich dann zurück? Doch es hilft nichts.
„Ich hätte da noch eine ganz konkrete Verbesserungsidee für Ihren letzten Absatz“, sagt er und beugt sich ungerührt über ihre Stuhllehne. Intuitiv weicht sie ihm aus, rutscht ganz auf die andere Seite ihres Stuhls. „Ich glaube ja, Ihre Chancen auf einen Buchpreis würden deutlich steigen, wenn Sie, so wie ich es vorschlage…“ Seine Worte dringen nicht länger zu ihr durch.
Ein Rezensent hat kürzlich über sie geschrieben, ihre Superkraft sei ihre poetische Sprache, doch sie glaubt das nicht. Ihre wahre Superkraft ist, mit weit geöffneten Augen und festem Blick auszusehen, als höre sie zu. Und währenddessen ihren nächsten Roman zu plotten. Ein Mann wird darin nicht vorkommen.
Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?
Auch ich bin sowohl als Autorin als auch als Mutter schon oft mit Mansplaining konfrontiert gewesen – insbesondere mit Anfang zwanzig, als ich gerade mein erstes Kind bekommen und mit dem Schreiben begonnen hatte. Damals war die Erziehungsliteratur noch sehr von den Namen großer Männer bestimmt: Remo Largo, Jesper Juul, Jan-Uwe Rogge. Dass nun plötzlich eine junge Frau in diese Domäne vordringen wollte, gefiel nicht allen.
Doch mittlerweile habe ich nicht mehr das Gefühl, mich als Autorin behaupten zu müssen. Ich erfahre viel Dankbarkeit und Wertschätzung für meine Arbeit. Was mich besonders berührt, ist, wenn Menschen mir von ganz konkreten Situationen erzählen, in denen ihnen ein Impuls von mir in einer schwierigen Situation geholfen hat.
Nora Imlau ist Journalistin und Buchautorin. Neben Bestsellern für Erwachsene wie Bindung ohne Burnout hat sie auch Kinderbücher veröffentlicht, etwa Ein total genialer Mummeltag.