Mobbing am Arbeitsplatz: „Mein Chef wollte mich loswerden“

Kolleginnen grenzen sie aus, dem Chef kann sie nichts recht machen, Vorwürfe häufen sich: Eine Betroffene berichtet von Mobbing im Beruf.

Die Illustration zeigt eine Hand, die ein rotes Herz auf den Schreibtisch legt, während im Hintergrund ein Vorgesetzter mit einer Mitarbeiterin ein Gespräch führt
Eine Kollegin legte einmal allen Schokoherzen auf den Schreibtisch – nur ihr nicht. © Holle Hoffmann für Psychologie Heute

Zuerst habe ich nur Notizen gemacht, dann immer mehr aufgeschrieben: Dialoge mit meiner Kollegin, Kommentare vom Chef, Dienstanweisungen. Ich wollte, ich musste mich absichern und festhalten, was da mit mir passierte. Mein Mobbingtagebuch wurde mehr als 20 Seiten lang, alle eng beschrieben. Wenn ich es mir heute durchlese, macht es mich noch immer wütend. Aber ich schäme mich auch, dass ich mich so habe ausnutzen lassen und nicht früher gemerkt habe, was da läuft.

Fünf Jahre habe ich als Lektorin in einem Zeitungsverlag gearbeitet. Das Büro teilte ich mir mit einer älteren Kollegin, die – so mein Eindruck – wenig arbeitete. Obwohl sie in Vollzeit angestellt war und ich nur eine Halbtagsstelle hatte, schaffte ich bald mehr als sie und übernahm einen Teil ihrer Aufgaben. Sie war einverstanden, dass sie zwei Stunden weniger arbeitete und ich zwei Stunden aufstockte. Aber in der Zeit, die wir zusammen im Büro verbrachten, gerieten wir ständig aneinander.

Mein Chef hatte mir geraten, vorsichtig mit ihr umzugehen, da sie psychische Probleme habe und Medikamente nehme, doch das war unmöglich. Alles an mir störte sie: wie ich tippe, wie ich rede, wie oft ich telefoniere. Selbst wenn ich nur eine dienstliche Frage stellte, fühlte sie sich von mir angegriffen oder beleidigt. Dann ging sie zum Chef und beschwerte sich über mich.

Im Home-Office wurde es noch schlimmer

Wir saßen nur zu zweit im Büro, ihr Wort stand gegen meines. Der Chef nahm grundsätzlich sie in Schutz. Vermutlich, weil sie seit mehr als dreißig Jahren im Verlag und unkündbar war. So entstand der Eindruck: Seit Frau B. da ist, gibt es Streit. Nach und nach wandte sich die Stimmung gegen mich.

Auf dem Flur wurde ich nicht mehr gegrüßt, mein „Guten Morgen“ blieb unbeantwortet. Eine Kollegin legte in der Mittagspause allen Schokoladenherzen auf den Schreibtisch. Nur mir nicht. Eine andere trank ihren Kaffee nicht mehr mit mir. Wenn ich die Sekretärin etwas fragte, verdrehte sie die Augen und machte spöttische Bemerkungen. „Ach, Frau B. findet die Briefklammern nicht? Hat die Frau B. ihre Brille nicht geputzt?“ Ich konnte das nicht verstehen: Warum reden die anderen nicht mehr mit mir? Was habe ich getan? Als ich meinen Chef darauf ansprach, war seine Antwort: „Lassen Sie mich doch mit Ihrem Kindergarten in Ruhe.“ Für ihn war das „Zickenterror“. Und ich die Schuldige.

Dann kam die Coronapandemie und alle wurden ins Homeoffice geschickt. Jetzt hätte sich die Situation entspannen können. Stattdessen wurde es noch schlimmer. Alle Abläufe mussten umgestellt werden, die Arbeit nahm zu und wichtige Informationen wie veränderte Drucktermine oder neue Korrekturvorgaben kamen nicht mehr bei mir an. Kolleginnen und Kollegen gingen nicht ans Handy, wenn ich sie anrief, oder ließen meine E-Mails unbeantwortet. Immer mehr Arbeit blieb an mir hängen und ich geriet zunehmend unter Druck. Als ich einmal bei einer Telefonkonferenz erfuhr, dass das Heft noch kurz vor dem Drucktermin komplett umgestellt werden sollte, brach ich in Tränen aus. Danach hieß es: „Frau B. ist hysterisch und nicht belastbar.“

Ob sie über mich reden?

Anfangs hatte ich noch gedacht: „Ich schaffe das“, und mich mehr und mehr angestrengt. Aber es war unmöglich. Fehler wurden mir angelastet, selbst wenn sie offensichtlich jemand anderes gemacht hatte. Wenn ich mich verteidigte, wurde mir das als üble Nachrede ausgelegt.

Ich hörte nur noch: Frau B. macht ihre Arbeit schlecht. Frau B. kommt nicht mit anderen zurecht. Frau B. hält sich nicht an Vorgaben. Frau B. sorgt für Chaos. Von Woche zu Woche wurde ich unsicherer. Mein Chef unterstellte mir: „Seien Sie doch mal ehrlich, das wächst Ihnen alles über den Kopf.“ Oder: „Die Arbeit macht Ihnen doch keinen Spaß mehr.“

Irgendwann war ich so angespannt, dass ich bei jedem Handyklingeln zusammenzuckte und dachte: Was kommt jetzt? Was wird mir nun wieder vorgeworfen? Eines Morgens habe ich schon beim PC-Hochfahren so sehr gezittert, dass ich mich krankschreiben lassen musste.

Ich hatte schon früher einmal ein leichtes Burnout gehabt. Ohne meinen Mann und unseren kleinen Sohn wäre ich wahrscheinlich in eine Depression gerutscht. Dieses Mal suchte ich mir Hilfe, sprach mit einer Psychologin, einem Anwalt und wandte mich später auch an den Verein gegen psychosozialen Stress und Mobbing.

Unbeschreibliche Wut und Hilflosigkeit

Weihnachten 2019 hatte ich für herausragend gute Leistungen noch eine Gratifikation bekommen. Drei Monate später lagen drei Abmahnungen gegen mich vor. Mir wurde vorgeworfen, Kolleginnen und Kollegen beleidigt und den Produktionsablauf verzögert zu haben.

Als ich zum Gespräch mit dem Personalchef und meinem Chef geladen wurde, dachte ich, ich könne mich – mit dem Betriebsrat an meiner Seite – endlich verteidigen, alles richtigstellen. Ich brachte meine Aufzeichnungen mit und ausgedruckte E-Mails, die bewiesen, dass die Unterstellungen falsch waren und Fehler nicht auf mein Konto gingen. Aber sie wollten sie nicht einmal sehen. Mein Chef sagte nur kalt: „Wir wollen nicht mehr mit Ihnen zusammenarbeiten. Ihr Verhalten ist untragbar.“ Da saß ich mit meinem dicken Ordner, mit all den Unterlagen – vergeblich. Die Hilflosigkeit und die Wut, die ich in diesem Moment empfand, kann ich nicht beschreiben.

„Das konnte er mir nicht verzeihen“

Am Ende stimmte ich einem Aufhebungsvertrag zu und ging mit einer relativ hohen Abfindung, denn laut Betriebsrat hätte ich vor dem Arbeitsgericht wahrscheinlich recht bekommen. Ich fühlte mich auch erleichtert. Endlich war es vorbei.

Mit etwas Abstand betrachtet, denke ich: Mein Chef wollte mich loswerden. Er hatte jahrelang nicht bemerkt, dass meiner Kollegin eine volle Stelle bezahlt worden war, obwohl sie viel weniger arbeitete. Durch mich war das aufgefallen. Das konnte er mir nicht verzeihen.

Die Mobbingerfahrung hat mich dünnhäutig werden lassen. Wenn ich an meinem neuen Arbeitsplatz Kolleginnen und Kollegen zusammenstehen sehe, frage ich mich, ob sie über mich reden. Persönliches teile ich kaum noch. Ich habe panische Angst davor, Fehler zu machen. Und noch mehr Angst davor, Fehler untergeschoben zu bekommen, um mich loszuwerden.

Hintergrund: Mobbing im Beruf

Eine globale Studie mit rund 75000 Angestellten und Arbeitnehmerinnen in 121 Ländern ergab, dass 18 Prozent von ihnen bei ihrer Arbeit schon einmal psychische Gewalt und Mobbing erlebt hatten. Frauen waren etwas häufiger betroffen als Männer. Mehr als ein Drittel aller Befragten gab sogar an, dem wiederholt ausgesetzt gewesen zu sein.

Dies betraf vor allem Personen mit hohem Einkommen. Aber obwohl viele Menschen solche Erfahrungen machen, scheint das Thema tabuisiert zu sein. Betrachtet man alle Arten von psychischer, physischer und sexueller Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz zusammen, so sprach laut den Studien­ergebnissen nur etwa die Hälfte aller Betroffenen mit jemandem darüber. Und wenn, dann eher mit Vertrauten als mit einem Vorgesetzten oder einer gewerkschaftlichen oder rechtlichen Vertreterin. In der Studie wird daraus der Schluss gezogen, dass zu viele Menschen aus Angst um ihre Reputation oder aus Angst vor Vergeltung nicht ihre Stimme erheben.

Dabei gibt es in Deutschland viele Hilfsangebote für von Mobbing Betroffene. Dazu zählen Beratungsstellen, Selbsthilfegruppe und Vereine. Das Institut zur Fortbildung von Betriebsräten (ifb) gibt auf seiner Website einen nach Bundesländern geordneten Überblick zu Stellen, an die man sich wenden kann. Manche unterstützen vor allem beim Verarbeiten des Erlebten, andere bieten auch rechtliche und praktische Unterstützung an, wenn jemand etwa gegen eine Kündigung vorgehen oder einen Mediator ins Unternehmen holen möchte.

Quelle

International Labour Organization, Lloyd’s Register Foundation, Gallup: Experiences of violence and harassment at work: A global first survey. Genf 2022.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2023: Das ewig hilfreiche Kind
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