„Mobbing wird zu wenig bekämpft.“

Wer gemobbt wird, sollte sich in Sicherheit bringen, meint der Psychiater Peter Teuschel. Es fehle an der Entschlossenheit, Mobbing den Kampf anzusagen.

Die Illustration zeigt Psychiater, Berater und Coach Peter Teuschel.
Den Psychiater, Berater und Coach Peter Teuschel stört es, dass Mobbing zu wenig bekämpft wird. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Gerade hat Herr R. mein Sprechzimmer verlassen und ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee. Die Geschichte, die er mir erzählt hat, war mir nicht neu. Im Gegenteil, ich hatte sie schon hunderte Male zuvor in ähnlicher Form gehört. Gernot R. ist in eine dieser Entwicklungen geraten, die gern als „Arbeitsplatzkonflikt“ bezeichnet werden. Denn Herr R. hat einen neuen Chef bekommen, und dieser Chef, so viel war schnell klar, „konnte nicht mit ihm“.

Herr R. wurde in den letzten Monaten systematisch ausgegrenzt. Er bekam keine Informationen über Vorgänge, die seinen Kompetenzbereich betrafen. Es wurden ihm Fehler und Versäumnisse vorgeworfen, die eben daraus resultierten, dass er diese Informationen nicht bekommen hatte. Um es kurz zu machen: Herr R. wird gemobbt.

Wie so oft in diesen Fällen ist ihm selbst nicht klar, warum das geschieht. Er vermutet, dass der neue Chef angetreten sei, um Personal abzubauen. Wir diskutieren einige andere Erklärungen. Manchmal sind neue Chefinnen oder Chefs verunsichert durch erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sehr häufig ist Neid die treibende Kraft.

Es bewegt sich in den Köpfen nichts

Wie auch immer, Gernot R. wurde durch das Mobbing krank. Er entwickelte Schlafstörungen, war unkonzentriert, am Sonntag grauste es ihm bereits vor dem Arbeitsbeginn am Montag. Er zog sich zurück, seine Hobbys machten ihm immer weniger Freude.

Als niedergelassener Psychiater steht bei mir seit 20 Jahren Mobbing als ein krankmachender Prozess im Fokus. In diesen Jahren habe ich hunderte Mobbingopfer behandelt und beraten. Ich habe Atteste und Gutachten erstellt, Artikel und Bücher geschrieben. Hat es etwas bewirkt? Für die Betroffenen wohl schon. Die allgemeine Wahrnehmung aber hat sich nicht geändert. Nach wie vor ist Mobbing eine „erfolgreiche Methode“, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter loszuwerden. Das Schlimmste aber ist, dass sich in den Köpfen der Menschen nichts bewegt hat.

Ich erinnere mich an ein Telefonat, das ich vor etwa 20 Jahren geführt habe: Ich hatte einen leitenden Arzt beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen mit der Frage konfrontiert, warum die Kassen sich nicht das Krankengeld, das sie für mobbingbedingte Arbeitsunfähigkeit an ihre Versicherten zahlen, vom mobbenden Arbeitgeber zurückholen. „Ach, wissen Sie“, ent­gegnete der Kollege, „da gehören immer zwei dazu.“

In Sicherheit bringen

An dieser Einstellung, dass nämlich die oder der Gemobbte irgendwie selbst schuld sei, hat sich bei den maßgeblichen Stellen nichts geändert. Nicht bei den Arbeitgebern, nicht bei den Kolleginnen und Kollegen, nicht bei den Gerichten. Ausnahmen hiervon sind recht selten.

Was bleibt? Ich werde Gernot R. nach bestem Wissen beraten und behandeln. Dabei steht eines im Vordergrund: Wer gemobbt wird, muss sich in Sicherheit bringen – dann kann man das Ganze überstehen. Aber kaum jemand wird den Mobbingschauplatz als Sieger oder Siegerin verlassen. Dazu fehlt es an gesellschaftlicher Bewusstheit und an der Entschlossenheit, dieser „Geißel des Arbeitslebens“ konsequent den Kampf anzusagen.

Peter Teuschel ist niedergelassener Psychiater, Berater und Coach in München. Er verfasste mehrere Bücher zum Thema Mobbing und betreibt einen Blog

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2021: Sich wieder nah sein
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