Mit Empathie die Welt verändern

Nachsicht mit uns selbst und anderen zu entwickeln ist ein anstrengender Akt. Aber auch ein lohnenswerter, meint Psychotherapeut Sina Haghiri.

Ein Bücherstapel mit den Büchern, die in Ausgabe 3/2025 vorgestellt werden
Das ist der Bücherstapel der Rezensionen aus der Märzausgabe 2025. © Psychologie Heute

Zu Beginn seines Buches Mit Nachsicht erzählt Sina Haghiri von einem Experiment, in dem eine seiner Klientinnen ihre Überzeugung, die Menschen seien größtenteils rücksichtslos und nur mit sich beschäftigt, praktisch überprüfen kann. Sie ist eingeladen, an einem öffentlichen Ort mit einem Einhandzähler erst mit der linken Hand eine halbe Stunde lang rücksichtsvolles Verhalten zu zählen, dann rechts eine halbe Stunde negative Verhaltensweisen. Am Ende hat sie links 44 Klicks, rechts 6. Die Erwartungen der Klientin – Frau Knöll – sind widerlegt; sie beginnt zu weinen.

Dass es und warum es wichtig ist, Nachsicht und Empathie zu lernen, entwickelt der Autor Sina Haghiri, der als Psychotherapeut und Dozent tätig ist, im ersten Teil seines Buches anhand von wissenschaftlichen Experimenten sowie Beispielen aus Literatur, Film und Philosophie. Sie alle scheinen die Bösartigkeit des Menschen zu belegen. Etwa William Goldings Herr der Fliegen, Kubricks Film Clockwork Orange und Philip Zimbardos berühmtes und umstrittenes Stanford-Prison-Experiment.

Meinungsverschiedenheiten als Attacke

Haghiris präzise Analysen dieser populären Zeugnisse legen jedoch offen, dass die Rezeption der Quellen von (unbewussten) Überzeugungen geprägt war und dadurch zu einem entsprechend verzerrten Menschenbild führte, weil sie misstrauische Vorsicht gegenüber Fremden als vermeintlich generell notwendig postulierten. Damit wird eine Haltung propagiert, die in früheren Zeiten sinnvoll war, um reale Gefahren abzuwehren. Wenn aber heute solche Nichtigkeiten wie Meinungsverschiedenheiten, irgendwelchen emotionalen Konflikte oder ein vergessener Geburtstag als Attacke erlebt werden und entsprechende Reaktionen auslösen, ist das unangemessen – und gefährlich. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, widmet Sina Haghiri sich im zweiten Teil des Buches der Frage, wie der Teufelskreis aus negativen Erwartungen und feindseligen Reaktionen zwischen den Menschen durchbrochen werden kann.

Leicht ist das nicht. Denn Nachsicht und Empathie setzen die Bereitschaft voraus, sich selbst auf die Spur zu kommen und überall da zu korrigieren, wo reaktiv-destruktive Energien wirksam sind. Worauf es dabei zu achten gilt, zeigt der Autor anhand aufschlussreicher Studien sowie einer Vielzahl eindringlicher praktischer Beispiele. Sie machen deutlich, wie leicht wir uns bei negativen Urteilen irren und warum ein unvoreingenommenes, differenziertes Menschenbild heilend sein kann: Weil Einfühlen, Helfen, Vergeben und Nachsicht – die nicht als Verbot von Wut missverstanden werden darf ! – gesundheitlich wie emotional eine positive Wirkung haben.

Haghiris Plädoyer, durch eine veränderte Haltung aktiv Verantwortung füreinander und für uns selbst zu übernehmen, ist inspirierend für jeden Einzelnen und zugleich ein Beitrag zu den aktuell drängenden Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2025: Ich entscheide, was ich fühle
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