Was hat Sexualität mit Selbstwertgefühl zu tun?

Häufige und gute sexuelle Erfahrungen scheinen unserem Selbstwert einen Boost zu verleihen. Psychologin Elisa Weber über ihre Forschung

Ein nacktes Paar sitzt sich gegenüber und küsst sich innig
Wer gute sexuelle Nähe erfährt, fühlt sich sozial akzeptiert. Das tut dem Selbstwert gut. © Ibai Acevedo/Stocksy

Warum sollte die Häufigkeit von oder die Zufriedenheit mit sexuellen Erfahrungen etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun haben?

Psychologische Theorien, etwa die Soziometertheorie, gehen davon aus, dass unser Selbstwertgefühl davon abhängt, inwieweit wir uns von anderen akzeptiert und gemocht fühlen. Das Modell der relationship risk regulation sagt außerdem aus, dass wir in allen unseren Beziehungen stets das Risiko abwägen, ob wir, wenn wir Nähe und Intimität zulassen, abgelehnt werden könnten oder nicht. Auch hier spielt das Selbstwertgefühl eine zentrale Rolle.

Um herauszufinden, inwieweit sich diese Annahmen auf die Sexualität übertragen lassen, haben wir die Daten von rund 11000 Befragten der Pairfam-Studie ausgewertet. Eine Besonderheit ist, dass diese aus einem Zeitraum von zwölf Jahren stammen. So konnten wir nicht nur verschiedene Personen miteinander vergleichen, sondern auch prüfen, inwieweit Veränderungen in der Häufigkeit von und der Zufriedenheit mit sexuellen Erfahrungen mit Veränderungen im Selbstwert über die Zeit zusammenhängen. Wir haben Daten von Personen in längerfristigen Beziehungen, in wechselnden Partnerschaften sowie von Singles analysiert.

Was haben Sie herausgefunden?

Menschen, die mit ihrer Sexualität zufrieden sind, berichteten im Durchschnitt von einem höheren Selbstbewusstsein und umgekehrt. Es scheint sich um einen wechselseitigen Einfluss zu handeln. Wenn wir also guten Sex haben, fühlen wir uns auch sozial akzeptierter und wertgeschätzt, und das stärkt unser Selbstwertgefühl. Ein erhöhter Selbstwert befähigt uns wiederum dazu, unsere sexuellen Wünsche und Bedürfnisse selbstbewusster zu kommunizieren und zu praktizieren.

Wir haben jedoch im Vergleich zwischen den Befragten gefunden, dass der durchschnittliche Zusammenhang zwischen der sexuellen Zufriedenheit und dem Selbstwert bei einigen Befragten stärker und bei anderen schwächer ausgeprägt war. Auch die Häufigkeit spielt eine Rolle, doch in deutlich geringerem Maß. Häufiger Sex zu haben bedeutet wohl nicht automatisch, dass auch jedes Mal unsere Bedürfnisse und Wünsche wirklich erfüllt werden. Für die sexuelle Zufriedenheit und das Selbstwertgefühl ist dies jedoch bedeutsam.

Die Personen, deren Angaben Sie ausgewertet haben, lebten nicht alle in einer Beziehung. Was bedeutet das mit Bezug auf Ihre Ergebnisse?

Zufriedenstellende sexuelle Erfahrungen können innerhalb und außerhalb von Paarbeziehungen das Gefühl von Akzeptanz und Wertschätzung stärken. Dies gilt auch für einmaligen Sex, denn auch hier kann man sich sehr wertgeschätzt fühlen. Rein biologisch wird immer das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das uns ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt.

Gab es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Bei Frauen war der Zusammenhang zwischen der Häufigkeit sexueller Erfahrungen und dem Selbstwertgefühl stärker ausgeprägt als bei Männern. Womöglich befähigt ein hohes Selbstbewusstsein Frauen eher als Männer dazu, Sex ohne die Angst vor Ablehnung zu initiieren und dadurch generell in einem hohen Maß sexuell aktiv zu sein, zum Beispiel auch mit wechselnden Sexualpartnern. Dieser Zusammenhang war bei den Männern geringer, womit wir nicht gerechnet hatten.

Elisa Weber ist Psychologin und forscht an der Universität Zürich.

Quelle

Elisa Weber u.a.: Self-esteem and sexual experiences. Personality and Social Psychology Bulletin, 2024. DOI: 10.1177/01461672241257355

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