In allen Kulturen, zu allen Zeiten und in allen sozialen Systemen beschäftigten sich Menschen mit der Begrenztheit ihrer Existenz. Drei Bücher widmen sich dem Tod, der unentrinnbar, unfassbar und lebenslang präsent ist.
Lorenz Jäger spannt in seinem Buch Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens einen weiten Bogen von den ersten schriftlichen Zeugnissen der Menschheit bis zur Moderne. Sabine Rachl glaubt, dass man bereits im Leben das Sterben üben kann – im Sinne einer Verfeinerung der Lebenskunst. Diese wiederum ist das Spezialgebiet des Philosophen Wilhelm Schmid, der uns den Tod seiner Frau nahebringt als den „Umgang mit dem Unfassbaren“.
Auf der Suche nach der „Entdeckung der Vergänglichkeit“ durchkämmt der Soziologe und Journalist Lorenz Jäger alte Überlieferungen der Menschheit: das Gilgamesch-Epos, die Bibel und die Weisheiten der antiken Philosophen. Er beschreibt aber auch das japanische Feiern der Vergänglichkeit und lässt etwa mit Georg Büchner Frühverstorbene zu Wort kommen, genauso wie Menschen, die ein stattliches Alter erreicht haben, wie den 2015 verstorbenen Philosophen Odo Marquard.
Den Tod wegphilosophieren
Die Bibel sei von einem trockenen Realismus geprägt, man rede pragmatisch und sachlich über den Tod. Die Idee eines zur Unzeit gekommenen, ungerechten Todes sei ihr fremd. „Das ist der tiefere Sinn des Gottvertrauens.“ Auch die Philosophie habe von Beginn an nach dem Tod gefragt und versucht, die Furcht vor ihm zu bannen. Zentral sei hier Michel de Montaignes (1533 bis 1592) berühmter Essay Philosophieren heißt sterben lernen, der dazu aufruft, sich mitten im Leben auf den Tod vorzubereiten. Am Ende seines Weges komme Montaigne auch auf die Beschwernisse des Alters zu sprechen, die sich nicht „wegphilosophieren“ ließen, so Jäger. „Mein guter Mann“, so redet Montaigne sich zu, „wir sind bestimmt, alt, schwach und krank zu werden, trotz aller Arznei. Man muss leiden lernen, was man nicht vermeiden kann.“
Odo Marquard stimmte in diese Altersklage ein – hatte aber eine Lösung: Humor. Es scheine ihm die einzige Haltung zu sein, die einer allseitigen Begrenztheit gerecht werden könne, indem er sie anerkennt und gleichzeitig relativiert.
Das Buch von Lorenz Jäger ist keine leichte Kost, aber kulturhistorisch interessierte Laien werden es mit Gewinn lesen, denn es handelt auch vom eigenen Leben, der Flüchtigkeit unseres Seins.
Ruhe und Abstand gewinnen
Vom „Leiden lernen“, wie es Montaigne im 16. Jahrhundert von sich verlangte, bis zum „Sterben üben“, wie es die Sterbebegleiterin und Musiktherapeutin Sabine Rachl jetzt vorschlägt, ist es kein weiter Weg. Sich besinnen, Ruhe und Abstand gewinnen, um sein Leben zu reflektieren, das war damals zentral und ist es heute noch. Wie Montaigne kommt Rachl zu der Überlegung: Wenn wir uns lebenslang vorbereiten, verliert der Tod seinen Schrecken.
Wesentlich für den Ratgeber, der viele Reflexionsanleitungen und Übungen umfasst, ist die Arbeit an der eigenen Biografie. Dabei wechselt die Autorin immer wieder zwischen direkter Ansprache, Geschichten, Gedanken und Übungen.
Auf der „Forschungsreise ins Eigene“ werden Ängste, herausfordernde Lebenssituationen, schwierige Erlebnisse in der Familiengeschichte und schließlich der Sterbeprozess und darin die Bedeutung von Musik und Spiritualität besprochen. Ängste, insbesondere die Todesangst, gehörten zum existenziellen Menschsein wie das Sterben selbst. Angst verzerre die Wahrnehmung und verhindere den Dialog. „Wo Dialog nicht vorkommen darf, darf der Tod nicht anwesend sein. Jeder bleibt mit seiner Angst allein.“
Wer Sterben üben will, braucht Mut und die Bereitschaft, sich mit den eigenen Ängsten, Wunden und Tabus zu beschäftigen, das ist die Essenz dieses Buches.
Wohin geht der Mensch, wenn er geht?
Den Tod überleben – wie geht das? „Das ist die unmittelbare Herausforderung für den, der bis auf weiteres am Leben bleibt“, sagt Wilhelm Schmid. Der Lebenskunstphilosoph macht in seinem neuen Buch deutlich, dass der letzte Akt unseres Seins auch zur Lebenskunst dazugehört. Angesichts des Todes seiner Frau und damit des Endes einer überaus glücklichen Beziehung stellt er viele Fragen: Wohin geht der Mensch, wenn er geht? In ein anderes Leben? Ist das vorstellbar? Kann allein schon die Möglichkeit ein Trost sein? Was ist mit dem eigenen Leben? Wäre es wünschenswert, wenn es keinen Tod gäbe? Ist es mir möglich, im vollen Bewusstsein des Todes das Leben zu lieben?
Natürlich hat er keine fertigen Antworten parat. Er liefert Denkanstöße. Etwa den, dass jeder von uns mit dem Tod eines geliebten Menschen der Erfahrung des Todes ein Stück näherkommt und wir uns im Angesicht des Todes unseres eigenen Lebens wieder gewahr werden – obwohl vielleicht ein Stück von uns mit gestorben ist.
Er verdankt seiner Frau sehr viel. Ihre Zuwendung habe ihn starkgemacht. „Wir sind Hand in Hand durchs Leben gegangen – im wörtlichen Sinne. Uns war klar, wie ungewöhnlich das war.“ Sie brauchte viel Nähe, er mehr Distanz. Sie hätten es ausbalanciert. „Von allem Schönen, was das Leben zu bieten hat, war sie das Allerschönste für mich.“ Ein Trostbuch, aber auch eine anrührende Liebeserklärung. Ein sinn-volles Leben ist die beste Vorbereitung auf den Tod. Das vermitteln alle drei Bücher.
Lorenz Jäger: Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens. Rowohlt 2024, 272 S., € 25,–
Sabine Rachl: Sterben üben, damit das Leben sich entfalten kann. Grundlagen, Fallgeschichten und Selbstreflexionen für die Sterbe- und Trauerbegleitung. Patmos 2024, 239 S., € 22,–
Wilhelm Schmid: Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbaren. Insel 2024, 143 S., € 12,–