Was sehen Sie hier, Franziska Tanneberger?

Ein Bild, zwei Fragen: Für Moorforscherin Franziska Tanneberger erzählt dieses Bild von Sehnsucht nach der Stadt. Und nach den Bergen.

Die Illustration zeigt eine Frau, die auf einen Bach mit Felsen in einem Wald im Mittelgebirge schaut
Ihre Familie lebt in den Bergen. Ihr neues Leben spielt in der Stadt. Gedanklich liegt sie irgendwo dazwischen. © Andrea Ventura für Psychologie Heute

Abreise. Nun war es nicht mehr länger hinauszuzögern gewesen. Irini blickte noch einmal durch das große Panoramafenster des Zuges zurück, den Gebirgsbach hinauf in die Berge. Halb waren ihre Gedanken in der Stadt, wo im Krankenhaus ihre seit Wochen schlecht heilende Handverletzung endlich in Ordnung gebracht werden sollte. Und halb oben im Dorf, wo ihre Eltern waren und Elektra, ihre Schwester.

Sie würde in der Stadt bei ihrer Patentante wohnen, einer sehr guten Freundin ihrer Eltern. Und sie freute sich auf die Tage jenseits des Alltags an einem neuen Ort, auf das Sichtreibenlassen in den Menschenmengen in den engen Gassen, das Eintauchen in fremde Leben und Orte. Und gleichzeitig sehnte sie sich schon jetzt nach dem Licht in den Bergen, nach dem schmalen Pfad am Ende des Dorfes, der in die Wiesen führte, nach dem Platz am warmen Ofen, den Rufen der Drosseln am Morgen und dem Rauschen des Bachs. Und sie nahm sich fest vor, die Tage in der Stadt zu genießen und jeden Moment auszukosten. Mit dem Wissen, dass sie zurückkommen wird.

Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?

Ich reise gerne und viel und pendle oft zwischen Stadt und Land. Und so wie das Mädchen auf dem Bild – so, wie ich sie mir vorstelle – meist mit Vorfreude und Lust auf die neuen Orte und Erlebnisse und ebenso mit einem Blick zurück auf mein glückliches Leben dort, wo ich herkomme. Dabei spielen ganz sicher auch meine Eltern und Geschwister eine wichtige Rolle.

Und so wie Caspar David Friedrich, dessen Jubiläumsjahr 2024 ist, macht es mir viel Spaß, Geschichten und Menschen zusammenzuführen oder auch in Gedanken an andere Orte zu verpflanzen. Berge statt Küste, Zypern statt Alpen. Die Namen der beiden Töchter eines zypriotischen Kollegen, Irini und Elektra, kamen mir einfach so in den Kopf. Vielleicht weil ich kürzlich über den gelingenden Aussöhnungsprozess zwischen den Menschen im griechischen und türkischen Teil Zyperns gelesen hatte. Wir sollten viel häufiger dorthin sehen, wo Dinge gut laufen. Und davon lernen.

Franziska Tanneberger ist Wissenschaftlerin an der Universität Greifswald und leitet das Greifswald Moor Centrum. Ihr gemeinsam mit der Journalistin Vera Schroeder geschriebenes Buch Das Moor erschien 2023.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2024: Die Straße der guten Gewohnheiten
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