Sie haben festgestellt, dass Prüfungsängstliche offenbar weniger gut vorbereitet ins Staatsexamen gingen. Wie kam das?
Wir haben rund 300 Medizinstudierende untersucht, wie sie sich auf ihr zweites Staatsexamen, die wichtigste und umfassendste medizinische Prüfung, vorbereitet und wie sie abgeschnitten haben. Dabei haben wir die Ergebnisse der Probeklausuren einbezogen, die in dem Bereich üblich sind. Anschließend haben wir untersucht, ob Prüfungsangst mit der Leistung im Staatsexamen und in den Probeklausuren zusammenhängt, und gesehen: Die Ängstlichen schnitten nicht nur im Examen selbst, sondern schon bei den Probeexamen schlechter ab.
Die Prüfungsängstlichen hatten offenbar langsamer gelernt. Sie hatten in der Vorbereitungszeit weniger Wissen erworben als die, die nicht unter Prüfungsangst litten. Prüfungsangst gilt in der Forschung als eine eher stabile Eigenschaft – die meisten, die darunter leiden, haben vor Prüfungen aller Art Angst, nicht nur vor den wichtigen.
Unsere Studie widerlegt bisherige Vermutungen, dass es nur die Angst in der konkreten Prüfungssituation ist, die verhindert, dass die Kandidatinnen und Kandidaten ihr Wissen gut abrufen können. Die Gründe für das schlechtere Abschneiden scheinen schon in der unzureichenden Vorbereitung zu liegen.
Wie erklären Sie die schlechtere Vorbereitung der Prüfungsängstlichen?
Das lässt sich aus unserer Studie nur zum Teil ableiten. Wir haben nicht nach den konkreten Lernstrategien gefragt. Aber es liegt nahe, dass die Prüfungsängstlichen zu oberflächlich und vielleicht zu kurzfristig gelernt haben. Womöglich haben sie sich nicht genug mit dem Stoff auseinandergesetzt, nicht über Beispiele nachgedacht, nicht versucht, den Lernstoff miteinander zu verknüpfen.
Aus der Forschung ist auch bekannt, dass Prüfungsängstliche stärker zur Prokrastination neigen, vielleicht schieben sie – womöglich aus Angst – zu viel vor sich her und können ab einem bestimmten Zeitpunkt die Lücken nicht mehr füllen. Das hat sich dann bei unseren Befragten sicherlich schon während der Prüfungsvorbereitung bemerkbar gemacht. Dadurch sind sie auf ihre Defizite aufmerksam geworden, und das wiederum verstärkte natürlich ihre Angst.
Wissen Prüfungsängstliche nicht, dass sie diese Angst haben, und reagieren deshalb nicht darauf?
Das glaube ich nicht, die meisten sind sich ihrer Angst bewusst. Mir scheint es naheliegender, dass sie keine geeigneten Lernstrategien anwenden.
Was hilft im Umgang mit Prüfungsangst?
Wir denken, dass die Prüfungsängstlichen noch mehr als andere gute Lernstrategien brauchen. Dafür gibt es Trainings. Wenn man diese absolviert, erzielt man schon während der Vorbereitungszeit Erfolgserlebnisse, etwa in Probeklausuren oder weil man das Gefühl hat, etwas Schwieriges verstanden zu haben, und vielleicht anderen hat helfen können. Diese Erfolgserlebnisse helfen wiederum, die Prüfungsangst abzumildern.
Beeinträchtigt die Angst die kognitiven Fähigkeiten beim Lernen?
Um herauszufinden, ob die Angst „Speicherplatz“ im Gehirn einnimmt und so das Lernen ineffektiver macht, haben wir mit allen Befragten einen entsprechenden Test gemacht, aber keine Unterschiede gefunden.
Maria Theobald ist Psychologin und forscht am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt (DIPF) zur Rolle der Emotionen für die Selbstregulation beim Lernen.
Quelle
Maria Theobald u.a.: Test anxiety does not predict exam performance when knowledge is controlled for: Strong evidence against the interference hypothesis of test anxiety. Psychological Science, 2022. DOI: 10.1177/09567976221119391