Lass die Angst ziehen – mit dieser Einladung treffen die dänische Psychotherapeutin Pia Callesen und die Journalistin Anne Mette Futtrup den Nerv einer verbreiteten Gemütsverfassung. Callesen stellt in ihrem Buch die metakognitive Therapie vor. Diese relativ junge Therapieform, die sich vor allem bei Angst- und Zwangsstörungen bewährt hat, wurde von dem britischen Psychologen Adrian Wells begründet.
Im Gegensatz zu etablierten kognitiven Therapieansätzen postuliert die metakognitive Therapie, Ängsten sei am ehesten beizukommen, wenn wir aufhören, über sie nachzudenken, weil erst das ständige Sichsorgen, das Analysieren und die dauernde Aufmerksamkeit den Ängsten Macht über uns verleihe. Dadurch quälen wir uns und wir behindern, so Wells, unsere Psyche in ihrer grundlegenden Fähigkeit, sich selbst zu regulieren.
Um den Sorgenkreislauf zu durchbrechen und angstfrei zu leben, wie der Untertitel des Buches verheißt, gilt es zu begreifen, dass wir entgegen unserer Überzeugung die Möglichkeit haben, unsere Gedanken, Gefühle und unsere Aufmerksamkeit zu steuern.
Dieser Weg vollzieht sich in mehreren Schritten: Im ersten werden die je eigenen Triggergedanken sowie unsere eingespielten Strategien, sie in Schach zu halten, identifiziert. Das kann intensives Grübeln sein, Ablenkung oder der Versuch, die Angst durch Alkohol, Tabletten oder Ähnliches zu betäuben. All diese vertrauten, aber ungeeigneten Bewältigungsmechanismen kosten Kraft und binden uns an die Angst.
Übungen, um die Aufmerksamkeit zu steuern
Stattdessen lehrt die metakognitive Therapie, wie wir unsere Aufmerksamkeit von den Sorgen ablösen und ins Außen richten können. Also doch Ablenkung? Nein! Sich abzulenken wirkt, als würde man die Angst wie einen prallen aufgepumpten Ball unter Wasser drücken. Die Aufmerksamkeit abzukoppeln entspricht dagegen dem, das Telefon zwar läuten zu hören – das heißt, den Triggergedanken wahrzunehmen –, jedoch nicht dranzugehen. So ausdauernd, dass das Klingeln allmählich aufhört.
Für stark von Ängsten oder Zwängen gepeinigte Menschen mag das zu einfach klingen, doch das Buch liefert eine Fülle einleuchtender Übungen, anhand derer das Steuern der Aufmerksamkeit eingeübt werden kann.
Fraglich ist allerdings, ob tatsächlich jeder Mensch immer die Möglichkeit hat, seine Aufmerksamkeit auf ein gesundes, stabilisierendes Außen zu richten. In komplexen Angstkrisen können sich alte, durch real Erlebtes ausgelöste Ängste mit akuten so verknäulen, dass es keinen Zugang mehr gibt zu einem neutralen Außen.
Doch die beiden Autorinnen weisen auch darauf hin, dass das Buch keine Therapie ersetzt. Interessant ist die metakognitive Therapie zugleich über den therapeutischen Rahmen hinaus: weil sie Wege aufzeigt, wie wir alle in Eigenregie versuchen können, uns von dysfunktionalen, kräftezehrenden Überzeugungen und Gewohnheiten im Umgang mit angstvollen Gedanken und Gefühlen zu befreien. Gabriele Michel
Pia Callesen mit Anne Mette Futtrup: Lass die Angst ziehen. Den Sorgenkreislauf durchbrechen und angstfrei leben. Aus dem Dänischen von Kerstin Schöps. Beltz, Weinheim 2021, 286 S., € 18,95