„Ein armer Farmersjunge sitzt in der sandigen Einöde von Mittelamerika. Ich stelle mir vor, dass er eine kleine selbstgemachte Flöte in seinen Händen hält. Sein Vater hat sie eigens für ihn gebastelt. Er spielt zunächst im Haus, das Flöten aber nervt seine Eltern. Deshalb ist er an die Schwelle getreten und sitzt da nun allein in der Weite, an einem sonnigen Tag, und versucht, ein vernünftiges Lied zustande zu kriegen. Aber das, was da in seinen Ohren erklingt, nun ja… Es will noch nicht so recht klappen!“
Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?
„Wieso fällt mir diese Interpretation ein? Hmm. Das war mein erster Gedanke. Danach folgten weitere Interpretationen, die hatten eher mit Einsamkeit und Schmerz zu tun. Der Junge sitzt da allein, ja, und ist einsam. Durch die Flöte aber gebe ich ihm eine Tätigkeit und somit Selbstermächtigung. Das ist es, was den Jungen und mich verbindet, denke ich. Herrin meines Lebens und meiner Entscheidungen zu sein, das war schon immer ein starker Antrieb für mich. Das Gefühl, einsam, ja unverstanden zu sein, kennt sicher jeder. Ich auch. Aber die Haltung dazu macht den Unterschied. Dann haben wir beide noch eine Gemeinsamkeit: Ich liebe das Land und die Natur. Und das ist ganz klar ein Farmersjunge. Die Gegend schaut eher nach Steppe aus, unwirtlich. Das kenne ich aus amerikanischen Filmen. Deswegen die sandige Einöde von Mittelamerika… Aber ob das tatsächlich unsere gemeinsame Vorliebe ist? Der Junge kennt schließlich nichts anderes. Heimat ist da, wo man ist. Körperlich. Und seelisch.“
Sarah Wiener ist Gastronomin, Köchin, Autorin. 2019 wurde sie ins Europäische Parlament gewählt, wo sie der Fraktion der Grünen angehört