In beunruhigenden Zeiten hat die Hoffnung Konjunktur. Auch als Phrase in den Medien. Schlagzeilen einer Internetrecherche während der Coronakrise: „Diese Kurve kann Deutschland Hoffnung machen“, „Coronakrise: Diese Nachrichten machen Hoffnung“, „Mit Disziplin und etwas Hoffnung“. Beinahe poetisch wurde Südkoreas Präsident Moon Jae-in, der verlauten ließ: „Wir brauchen jetzt das Virus der Hoffnung.“
Kann sich die Hoffnung tatsächlich in einer Gemeinschaft verbreiten wie ein Virus? Dem Psychologen Tobias Kube von der Universität Koblenz-Landau, der zum Thema Hoffnung forscht, ist keine einzige Studie bekannt, die besagt, dass Hoffnung ansteckend sein könnte. Dafür sei dieses Gefühl, würde er vermuten, nun mal zu privat. Es ist wohl eher so, dass der Hoffnungsreflex bei vielen Menschen wie automatisch anspringt, wenn die vertraute Welt aus den Fugen gerät, wenn man sich fürchtet und die Zukunftsaussichten düster und unsicher sind.
Ein natürlicher Feind der Angst
Die Schweizer Psychoanalytikerin Verena Kast sieht in der Hoffnung eine große Konstante des Seelenlebens, eine nie weichende Ressource. „Ich halte Hoffnung für die Grundemotion des Lebens und den natürlichen Feind der Angst“, sagt Kast. „Solange wir lebendig sind, hoffen wir, dass es besser wird. Selbst Sterbende tun das.“ Auch wenn sie von Unsicherheit, Angst, Düsternis überlagert ist: Unterschwellig sei die Hoffnung immer da, 24 Stunden am Tag. Man kann sich auf sie verlassen.
Doch die Hoffnung hat auch eine dunkle Seite: Wer die Grenzen der Hoffnung nicht kennt und akzeptiert, kann in Not geraten. Stellen Sie sich zum Beispiel vor: Ihre beste Freundin steckt in einer Beziehung, die schon zweimal in die Brüche gegangen ist. Alle Welt und Sie wissen, dass sie auf einem toten Gaul reitet und lieber absteigen sollte. Sie selbst aber hofft darauf, dass der dritte Versuch gelingen wird.
„Das ist der Irrsinn“, sagt der Heidelberger System- und Paartherapeut Arnold Retzer in nüchterner Klarheit. Man hofft und hofft, während man längst in der Grube sitzt und weiter gräbt, statt sich aus einer misslichen Lage zu befreien. Retzer ist der Auffassung, dass „in der hoffnungslosen Überbewertung der Hoffnung ihre Schattenseiten untergehen“.
Die Hoffnung an die Realität anpassen
Damit die ewige Gabe der Hoffnung ihr gutes Werk tun könne, dürfe der Mensch nicht untätig sein. Es gilt, die großen Hoffnungen im Laufe des Lebens „an die Vetos und das Feedback der Realität anzupassen“, wie Retzer es bezeichnet: „Sonst wird es aberwitzig.“ Wer das nicht beherzigt, werde vom „eingebauten Gift der Hoffnung“ schlucken müssen: „Dann wird die Hoffnung paradoxerweise umso größer, je mehr sie enttäuscht wird.“
Mehr über die positiven und negativen Aspekte der Hoffnung lesen Sie im kompletten Artikel „Vom Segen und Fluch des Hoffens“ in unserem aktuellen Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Die Seele stärken: Für sich einstehen – resilienter werden – Zuversicht schöpfen