Was uns risikobereit macht

Psychologie nach Zahlen: Ob wir Risiken eingehen, hängt nicht nur von unserer Persönlichkeit ab. Auch die Situation beeinflusst unser Risikoverhalten.

Illustration zeigt einen Mann auf einem E-Scooter, eine Frau fährt vorbei.
Mal Draufgänger, mal Hasenfuß: Die Risikobereitschaft unterscheidet sich von Typ zu Typ. © Till Hafenbrak

Manche Menschen lieben das Risiko, andere bleiben lieber auf der sicheren Seite. Ob wir Risiken eingehen, hängt aber nicht nur von unserer Persönlichkeit ab, sondern auch von anderen Einflüssen. Da wären:

1 Das Alter

Es ist bekannt – aber auch durch die Wissenschaft belegt –, dass Jugendliche und junge Erwachsene am ehesten Risiken eingehen. Dabei ist meistens die Suche nach neuen und aufregenden Erlebnissen gemeint, das sogenannte sensation seeking. Dieses Verhalten ist laut einer amerikanischen Studie bei 19-jährigen Männern am stärksten ausgeprägt, bei Frauen bereits mit 16 Jahren. Während unserer Kindheit steigt die Sensationslust langsam an, im Erwachsenenalter sinkt sie dann wieder. Das ist nicht nur in den USA so: Wissenschaftler aus zwölf verschiedenen Ländern beobachteten einen solchen Verlauf.

Allerdings gibt es noch weitere Arten von Risikoverhalten. Da wäre zum einen das „Handeln, ohne nachzudenken“. Auch das findet man am ehesten bei Jugendlichen. Anders ist es bei impulsiven Entscheidungen. Beispielsweise wenn man es vorzieht, sofort eine kleine Belohnung zu bekommen, anstatt auf eine größere zu warten. Dieses Verhalten kann man bei Kindern am deutlichsten beobachten, es nimmt mit dem Alter und mit steigender Selbstkontrolle ab.

2 Die Mitmenschen

Wichtig für unser Risikoverhalten sind auch die Menschen, mit denen wir uns umgeben – ganz besonders die gleichaltrigen, die „Peers“. Zahlreiche Studien haben bestätigt, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene erheblich riskanter verhalten, wenn sie mit Altersgenossen unterwegs sind.

Das fängt schon beim Überqueren der Straße an: In einem Simulator sollten Zwölfjährige und Erwachsene entweder allein oder mit einem Freund zur anderen Straßenseite wechseln. Die Jugendlichen waren dabei in Gesellschaft deutlich wagemutiger, als wenn sie allein über die Straße gehen sollten. Bei den Erwachsenen gab es dafür keine Anzeichen. Auch beim Autofahren oder im Glücksspiel sorgte die Gegenwart von anderen bei jungen Menschen für ein riskanteres Verhalten.

Es scheint, dass Jugendliche in Anwesenheit von Gleichaltrigen eher den möglichen Vorteil oder Gewinn einer Aktion im Blick haben. Die eventuellen Kosten oder Nachteile vernachlässigen sie. Das gilt selbst dann, wenn sie explizit darauf hingewiesen werden, wie wahrscheinlich ein schlechter Ausgang einer Handlung ist.

3 Die Stimmung

Bei der Entscheidung, ob man ein Risiko eingeht, spielt die Stimmung eine entscheidende Rolle. Gute Laune sorgt für größere Risikobereitschaft, während man mit einer pessimistischen Einstellung eher die sichere Variante wählt. Die Stimmung – und damit das Risikoverhalten – wird wiederum von äußeren Umständen wie dem Wetter, der Jahreszeit oder dem Wochentag beeinflusst. Selbst ob der eigene Lieblingsclub in der Bundesliga gerade gewonnen oder verloren hat, spielt eine Rolle.

Spannend ist, dass solche Effekte sogar ganze Städte oder Regionen betreffen können. Kommt beispielsweise nach mehreren wolkigen Tagen die Sonne heraus oder feiert das örtliche Team nach einer Serie von Niederlagen endlich mal wieder einen Kantersieg, werden in dieser Gegend mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Lottoscheine verkauft. Dabei kommt es allerdings darauf an, wie bemerkenswert das Ereignis ist.

In Los Angeles, wo ohnehin ständig die Sonne scheint, hat ein blauer Himmel kaum Auswirkungen. Genauso kann man davon ausgehen, dass sich Menschen, die gerne zur Arbeit gehen, weniger von den Wochentagen beeinflussen lassen als diejenigen, die sich schon am Sonntagabend den nächsten Freitag herbeiwünschen.

4 Die Müdigkeit

Wer hat schon Zeit zum Schlafen? Nun, man sollte sie sich nehmen, wenn man gute Entscheidungen treffen möchte. Denn schläft man chronisch zu wenig, führt das zu riskanterem Verhalten – und man bemerkt es nicht einmal. Das hat eine Studie gezeigt, die sich mit finanziellen Risiken beschäftigte.

Die Teilnehmer durften dabei sieben Nächte hintereinander nur fünf Stunden schlafen, oder sie mussten 40 Stunden am Stück wach bleiben. Interessanterweise wirkte sich zwar der reduzierte Schlaf, nicht aber der komplette Schlafentzug auf die Risikobereitschaft aus. Stattdessen war das Verhalten der komplett übernächtigten Teilnehmer generell weniger vorhersagbar.

Dass es auf den Grad der Müdigkeit entscheidend ankommt, zeigt auch eine andere Studie. Dabei ging es nicht nur darum, wie lange und gut man in der letzten Zeit geschlafen hatte, sondern auch um den Biorhythmus. So ziemlich jeder kennt das Gefühl: Man hat gut zu Mittag gegessen, geht zurück an die Arbeit – und dann kommt das Nachmittagstief.

Auch diese tageszeitbedingte Schläfrigkeit scheint keinen linearen, sondern einen bogenförmigen Einfluss auf die Risikobereitschaft zu haben: Wenn die Versuchsteilnehmer sehr schläfrig, aber auch wenn sie sehr munter waren, verhielten sie sich wenig risikofreudig. Wer jedoch nur ein bisschen müde war, ging höhere Risiken ein. Am sichersten ist es wohl, im Mittagstief keine wichtigen Entscheidungen zu treffen und ansonsten gut ausgeschlafen zu sein.

5 Das Geschlecht

Sind Männer risikofreudiger als Frauen? Das jedenfalls zeigen verschiedene Studien, in denen es um Finanzen, riskantes sexuelles Verhalten, Autofahren oder Drogen ging. Doch ein Team von Wissenschaftlerinnen ging der Vermutung nach, dass dies bei bestimmten Themen anders aussehen könnte: Sie erstellten Listen mit konventionellen und neuen Aktivitäten, darunter zum Beispiel „Eine extreme Diät machen, um Gewicht zu verlieren“ und „Einen Freund oder Kollegen bezüglich eines sexistischen Kommentars konfrontieren“.

Die Teilnehmer mussten bewerten, wie wahrscheinlich es sei, dass eine Frau oder ein Mann das Risiko eingehen würde. Wie sich zeigte, wurden manche riskanten Aktivitäten eher Frauen zugeschrieben, andere eher Männern. Wurden die Teilnehmer aber ganz allgemein danach gefragt, welches Geschlecht risikofreudiger sei, fiel die Wahl meist auf die Männer. Ob hier ein Unterschied zwischen Männern und Frauen konstatiert wird, hängt also – wie so oft – von der Fragestellung und der Wahrnehmung ab.

Literatur

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G. Hinsler, Z. Krizan: Sleepiness and behavioral risk-taking: do sleepy people take more or less risk? Behavioral Sleep Medicine, 17/3, 2019, 364–377

A. Maric u.a.: Insufficient sleep: enhanced risk-seeking relates to low local sleep intensity. Annals of Neurology, 82/3, 2017, 409–418

T. Morgenroth u.a.: Sex, drugs, and reckless driving: Are measures biased toward identifying risk-taking in men? Social Psychological and Personality Science, 9/6, 2017, 744–753

E.E. O’Neal u.a.: How does crossing roads with friends impact risk taking in young adolescents and adults? Journal of Pediatric Psychology, 2019 (Epub ahead of print)

A.R. Otto, J. Eichstaedt: Real-world unexpected outcomes predict city-level mood states and risk-taking behavior. PLoS One, 13/11, 2018, e0206923

D. Romer u.a.: Beyond stereotypes of adolescent risk taking: placing the adolescent brain in developmental context. Developmental Cognitive Neuroscience, 27, 2017, 19–34

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Räume der Seele: Psychologie Heute 12/2019
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