Warum haben wir mit fortschreitendem Alter das Gefühl, dass uns die Zeit davonläuft? Und wieso haben wir vieles, was wir in unserer Jugend erlebten, noch so deutlich vor Augen, während die Erlebnisse aus späteren Jahren viel weniger Raum in unserem Gedächtnis einnehmen? Die gängige Antwort lautet: weil für uns früher noch alles neu und damit erinnernswert war, bevor das Leben dann mehr und mehr zur Routine wurde. Die subjektive Zeitverzerrung könnte aber noch eine andere, nämlich eine physiologische Erklärung haben, die jetzt der Ingenieurwissenschaftler Adrian Bejan von der Duke University ins Spiel gebracht hat: Wenn Nervenzellen reifen, dann werden ihre Verbindungsstränge immer länger und komplexer. Später machen sich dann auch noch Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Beides bewirkt, dass Nervensignale immer länger bis zu ihrem Zielort brauchen. Das wiederum hat zur Folge, dass der Takt der inneren Vorstellungsbilder, die das Gehirn bei der Wahrnehmung produziert, immer schwerfälliger wird – ablesbar etwa daran, dass bei Kindern die Pupillen viel rascher hin und her hüpfen als bei Älteren. In jungen Jahren sammeln wir pro Tag also viel mehr mentale Bilder, und deren Menge könnte für das Gehirn eine Art Maßeinheit für die verstrichene Zeit sein. Vielleicht erscheinen uns also auch deshalb in der Jugend die Erlebnisse viel dichter als im Alter.
DOI: 10.1017/S1062798718000741