Wie haben Sie ein Gespür für das richtige Timing auf der Bühne entwickelt?
Anke Engelke: Auf Timing muss man vermutlich vor allem richtig Lust haben! Ich war zum Beispiel immer schon gerne albern und mag bis heute witzige Menschen, die ein Gespür haben für die Temperatur des Moments, dabei aber nicht laut oder übergriffig werden. Das haben doch bestimmt alle als Kind geliebt: Wenn auf Familienfesten der lustige Großonkel zwischendurch im richtigen Moment einen Klopper rausgehauen hat, weil er das öde Essen nicht mochte oder die beknackten Gastgeber. Vielleicht stellen sich Weichen früh, vielleicht beginnt dann schon das aufmerksame Studieren der Menschen und ihrer Macken, das Sammeln von Eindrücken, und – als Kind natürlich komplett unbewusst – das Üben.
Auf der Bühne spielt das echte wahrhaftige Vergnügen dann eine ebenso große Rolle: Der Spaß am Lachen der anderen! Aber da lauert in meinen Augen auch das größte Problem, die größte Falle: Wenn man das Lachen oder gar die Sympathie der anderen wichtiger nimmt als die eigene Freude, kann eine Pointe eitel sein oder gefällig, und daran habe ich persönlich weder Spaß noch Interesse.
Timing lebt vom Lernen aus Erfahrung. Man lernt, während man beobachtet und ausprobiert, oder man lernt ganz professionell mit Kolleg_innen. Ich hatte das Glück, erst als Kind beim Radio und später bei der Wochenshow mit anderen Timing-Junkies üben zu dürfen. Wenn man am reagierenden Gegenüber ausprobieren kann, wie lang zum Beispiel eine Pause sein darf oder muss, wie man einen Satz gestaltet, eine Pointe setzt, dann ist das Luxus!
Ist bei einem Ihrer Auftritte das Timing einmal richtig schief gegangen?
Anke Engelke: Natürlich, das geht regelmäßig völlig in die Hose! Beim Drehen hat man mehrere Versuche, aber auf der Bühne hat man nur eine Chance. Also sollte man wach sein, offen und auf Zack. Ich nenne das gern ganz kitschig: im Moment sein. Bei mir geht es zum Beispiel immer schief, wenn ich zu verkrampft auf eine Pointe hinsteuere, oder wenn eine Formulierung für mich nicht ganz mundgerecht und authentisch ist. Und beim Improvisieren weiß ich manchmal nicht, dass es reicht, also dass ich eine Situation oder ein Thema genug bearbeitet habe. Bei der letzten Berlinale-Eröffnung etwa stand ich vor lauter Verehrung viiiiiiel zu lange vor Bryan Cranston herum und konnte nicht liefern. Er hat das erkannt und mich gerettet: Er ist an Bill Murrays Schulter eingeschlafen. Gutes Timing bedeutet auch, dem Mitspieler zu vertrauen, ihn machen zu lassen. Gefährlich, aber ein Riesenspaß!!!
Und erinnern Sie sich an eine Situation, in der Ihnen das Timing besonders gut gelungen ist?
Anke Engelke: Ja. Wenige Minuten vor meinem Bryan-Cranston-Moment ging ich mit meinem Mikro durch den Saal, befragte das Publikum und sah die wunderbare Helen Mirren! Wir unterhielten uns ein wenig und ich musste ein Kompliment entgegennehmen. Darin bin ich übrigens ebenfalls sehr schlecht. Sie lobte mein Namensgedächtnis und sagte, dass sie beeindruckt sei, weil ich mir ohne Moderationskarten oder Teleprompter so viel Text merken könne. Ich dankte ihr, wünschte ihr eine schöne Zeit in Berlin und ging weiter mit den Worten „Have a great Berlinale, Barbara!“ Das fand ich selber lustig. Aber während ich die Stufen hochging, in Richtung Bryan Cranston nämlich, weitermoderierte, nach oben sah, wo im letzten Jahr Jury-Präsidentin Meryl Streep gesessen hatte, dachte ich: Ich hätte sie „Meryl“ nennen sollen! Das wäre noch lustiger gewesen. Chance verpasst. Nicht schlimm. Weitermachen!