Je achtsamer, desto weniger feindselig

Wir können unsere Art mit Äußerungen umzugehen mit Achtsamkeitsübungen trainieren, legt eine neue Studie nahe.

Viele trainieren Achtsamkeit, etwa mit Meditations- oder Atemübungen, um mit Stress besser umgehen zu können. Sie streben dabei einen Zustand der Akzeptanz und des Wissens darüber an, dass Gedanken kommen und gehen. Jüngste psychologische Forschungen zeigen, dass es auch soziale Vorteile gibt: Wer achtsam sein kann, neigt offenbar weniger dazu, uneindeutiges Verhalten von anderen als feindselig zu bewerten. Das fanden Psychologen in drei Experimenten heraus, in denen sie die Reaktionen der Teilnehmer auf mehrdeutige soziale Szenarien erfassten, die auch negative Deutungen zuließen.

In dem Experiment gab es drei Gruppen, denen zunächst soziale Alltagssituationen über Kopfhörer vorgelesen wurden, etwa: „Ein anderer Fahrgast in der Bahn schnappt Ihnen den letzten freien Sitzplatz vor der Nase weg.“ Alle Szenen wurden bewusst mehrdeutig gehalten, es war also nicht klar, ob die handelnden Personen wirklich böse Absichten hatten, es hätte aber so sein können. Auf diese Weise wollten die Forscher herausfinden, ob und wie viele Teilnehmer den Protagonisten in den Geschichten negative Intentionen zuschrieben.

Eine Gruppe wurde gebrieft, sich auf den Moment zu konzentrieren und die Gedanken ziehen zu lassen (decentering), die zweite wurde instruiert, sich gedanklich richtig in die Szenarien zu vertiefen, und die dritte erhielt keine Anweisungen. Alle sollten die Szenarien im Anschluss bewerten, also Aussagen darüber treffen, ob die dort beschriebenen Akteure absichtlich handelten.

Tatsächlich schien die Instruktion, gedanklich tief in die Situation einzutauchen, die Neigung zu verstärken, den dort geschilderten Personen feindliche Absichten zu unterstellen: Die so instruierten Probanden bewerteten die Szenarios durchgängig negativer. Dagegen beurteilten die zur Achtsamkeit angewiesenen Teilnehmer die Situationen in den Szenarios neutraler. Offenbar führt eine intensive gedankliche Beschäftigung mit möglicherweise abweisendem Verhalten anderer dazu, dieses negativer zu deuten, als es gemeint ist.

Kim Lien van der Schans u.a.: Mindful social inferences: Decentering decrea­ses hostile attributions. European Journal of Social Psychology, 2020 DOI: 10.1002/ejsp.2657

Artikel zum Thema
Gesellschaft
Warum wird der Klimawandel von Populisten so gerne in Diskussionen genutzt? Axel Salheiser über das Verständnis von Freiheit, das sich dahinter verbirgt
Leben
Achtsamkeit ist in Unternehmen, Krankenhäusern, psychotherapeutischen Praxen und Wohnzimmern angekommen. Doch wobei hilft sie wirklich?
Leben
Sie wären in manchen Dingen gerne disziplinierter, etwa beim Essen? Bestimmte Handlungsabläufe zu wiederholen könnte Ihnen dabei helfen.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2020: Männer und ihre Mütter
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft