Definition: Was ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung haben tiefgreifende problematische Muster im Denken, Erleben und Verhalten, die meist schon in der Jugend beginnen. Die erheblichen Schwierigkeiten, die die Betroffenen im Umgang mit anderen haben, werden von außen oft weniger als Krankheit, sondern eher als Charakterschwäche wahrgenommen. Wie andere Persönlichkeitsstörungen zeichnet sich die Borderline-Persönlichkeitsstörung dadurch aus, dass die Betroffenen in der Regel zwar leiden, die typischen Muster im Denken, Fühlen und Handeln aber als „ich-synton“ erleben: als zu sich gehörig und nicht als fremd oder krankhaft. Die Symptome treten dauerhaft auf und sind nicht auf einzelne Krankheitsepisoden beschränkt.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung gehört laut dem Klassifikationssystem DSM-5 zum „Cluster B“ der Persönlichkeitsstörungen. Gemeinsam ist den Störungen dieser Kategorie die Launenhaftigkeit: Betroffene haben ihre Gefühle oder ihr Verhalten nicht im Griff.
Kern der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind Schwierigkeiten mit der Regulation von Emotionen. Betroffene erleben Gefühle oft als sehr intensiv und überwältigend. Angst, Wut oder Verzweiflung können sie ganz plötzlich übermannen, anders als bei den meisten Menschen flauen die Gefühle nicht nach kurzer Zeit ab. Auch über ihr Verhalten haben Betroffene oft nur wenig Kontrolle: Sie reagieren impulsiv. Die Beziehungen zu anderen Menschen sind instabil, mal ist man sich nah, dann führt schon eine Kleinigkeit zur Eskalation.
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung nehmen soziale Situationen oft verzerrt wahr, wittern Ablehnung, wo keine ist, und haben häufig eine verzerrte Sicht auf sich selbst als Person. Wörtlich steht „Borderline“ für „an der Grenze“. Lange war damit die Nähe zur Psychose gemeint, einem psychischen Zustand, in dem Betroffenen der Realitätssinn abhandenkommt. Heute wird die Erkrankung jedoch nicht mehr in die Nähe der Psychose gerückt.
Epidemiologische Studien sollen die Verbreitung einer Erkrankung in der Bevölkerung ermitteln. Eine 2018 erschienene Übersichtsarbeit, für die Wissenschaftler der Universität Heidelberg eine Vielzahl solcher Studien auswerteten, beziffert die Prävalenz auf 1,6 Prozent. Das bedeutet, dass in Deutschland etwa eine Million Menschen zwischen 18 und 60 Jahren von einer Borderline-Persönliochkeitsstörung betroffen sein können.
Symptome von Borderline
Eine Reihe von Symptomen sind typisch für die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie lassen sich vier Bereichen zuordnen:
Beziehungen
Die zwischenmenschlichen Beziehungen von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind selten stabil. Partnerschaften und Freundschaften gleichen einer Achterbahnfahrt. Typisch ist, dass Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung die andere Person abwechselnd idealisieren und abwerten: In einem Moment ist da Liebe, im nächsten Hass. Es fällt ihnen schwer, tragfähige Beziehungen zu führen, gleichzeitig haben sie panische Angst davor, verlassen zu werden. Weil sie kaum Halt in sich selbst finden, sind sie übermäßig vom Gegenüber abhängig. Beim leisesten Verdacht, dass die angebetete Person sich abwendet, schlägt alles in den Betroffenen Alarm. Häufig eskaliert dann die Situation.
Emotionen
Betroffenen Menschen fehlt ein innerer Ruhepol. Ihre Stimmung schwankt extrem, sie reagieren schon auf Kleinigkeiten heftig. Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sehen plötzlich rot, etwa wenn sie sich zurückgewiesen fühlen. Sie erleben heftigen Zorn und sind kaum in der Lage, ihn zu kontrollieren. So kommt es oft zu Wutausbrüchen oder sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen. Neben der enormen emotionalen Anspannung berichten Betroffene von einer quälenden inneren Leere. Unter Stress kann es zur Dissoziation kommen: Wer dissoziiert, fühlt sich von der Außenwelt abgeschnitten, alles erscheint auf einmal fremd und weit weg. Manche beschreiben es als ein Gefühl wie unter einer Glasglocke, wie in Watte gepackt oder wie in einem Traum. Manchmal wirken Betroffene dann auch von außen wie weggetreten. Viele leiden zudem an Suizidgedanken.
Verhalten
Zur inneren Not kommt eine geringe Impulskontrolle. Diese explosive Mischung führt dazu, dass sich viele Betroffene selbst verletzen – zum Beispiel, indem sie sich Schnitte oder Verbrennungen zufügen. Selbstverletzendes Verhalten kann dazu dienen, überwältigende Emotionen abzuschwächen. Indem sie sich physischen Schmerz zufügen, können sich Betroffene vorübergehend von den psychischen Qualen ablenken. Neben dem Spannungsabbau dient der intensive Reiz teils auch dazu, die innere Leere für kurze Zeit zu durchbrechen. Die impulsive Seite der Betroffenen zeigt sich aber zum Beispiel auch durch exzessives Geldausgeben, Glücksspiel, Rasen, riskantes Sexualverhalten oder unkontrollierte Essanfälle.
Wahrnehmung und Denken
Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung erscheinen oft extrem empfindlich. Schon einen falschen Blick werten sie mitunter als Zeichen, dass die andere Person sich abwendet. Unter Stress kann das in paranoiden Vorstellungen gipfeln. Auch die Sicht auf sich selbst ist bei Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung beeinträchtigt. Das Selbstbild ist instabil, sie betrachten sich immer wieder als wertlos und schlecht. Oft haben sie schon früh im Leben die Überzeugung entwickelt, anders zu sein als andere. Vielen fehlt eine feste Identität, was dazu führen kann, dass sie ihre Meinungen oder Pläne häufig ändern. Die Grenze zwischen Ich und Du verschwimmt bei Betroffenen leicht. Auch deshalb – weil sie sich schwer abgrenzen können und Verlassenwerden für sie gefühlt einem Todesurteil gleichkommt – verlaufen ihre Beziehungen so turbulent.
In welchem Alter tritt Borderline auf?
Persönlichkeitsstörungen brechen nicht plötzlich bei Erwachsenen aus, die Entwicklung beginnt schon früh. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung macht sich in der Regel in der Jugend bemerkbar. Die Diagnose kann ab dem 12. Lebensjahr gestellt werden.
Oft spitzen sich die Probleme im Teenager-Alter zu. „Kinder, deren Affektsystem sich nicht schnell reguliert und die bei ihren primären Bezugspersonen schon mit ihren starken Emotionen auf Ablehnung gestoßen sind, machen in der Pubertät oft erneut schwierige soziale Erfahrungen“, sagt Martin Bohus, Professor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Sie wirken bislang etwas seltsam, bekommen wenig Anerkennung von Gleichaltrigen und werden oft gemobbt.“ Der Gedanke „Irgendetwas stimmt mit mir nicht“ verfestigt sich oft in dieser Zeit. Die quälenden Gefühlszustände werden intensiver und die gedankliche Beschäftigung mit Suizid als Ausweg wird zum eingespielten Muster. Viele kommen erstmals mit Mitte 20 in stationäre Behandlung.
Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Bei der Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung kommen biologische, psychologische und soziale Faktoren zusammen. Sowohl die Gene als auch Erfahrungen in den frühen Lebensjahren spielen eine Rolle. Wahrscheinlich entsteht die Borderline-Persönlichkeitsstörung durch eine komplexe Wechselwirkung mehrerer Faktoren. Die genauen Ursachen können von Person zu Person unterschiedlich sein.
Biologische Faktoren
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung tritt in manchen Familien gehäuft auf. Menschen, die Verwandte mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung haben, tragen ein höheres Risiko, auch an dieser Störung zu leiden – selbst wenn sie nicht bei ihnen aufgewachsen sind. Das deutet auf eine gewisse genetische Veranlagung hin.
Bei Betroffenen finden sich außerdem neurobiologische Besonderheiten. Diese können sowohl durch bestimmte Erbanlagen als auch durch belastende Lebenserfahrungen entstehen. Untersuchungen haben Abweichungen im Gehirn von Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung gezeigt, insbesondere in Bereichen, die für die Emotionsregulation, die Impulskontrolle und zwischenmenschliche Interaktionen wichtig sind. Regionen des limbischen Systems wie die Amygdala, eine Art Gefühlszentrum, reagieren bei Betroffenen ungewöhnlich stark. Bereiche des Stirnhirns, die für die Regulation von Emotionen und Handlungen eine wichtige Rolle spielen, sind dagegen weniger rege als bei anderen Menschen.
Auch die extreme Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung zeigt sich im Gehirn, wie Forschende des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim im Jahr 2014 belegten. Sie ließen 20 Frauen mit der Diagnose und 20 Frauen ohne die Diagnose ein virtuelles Ballspiel spielen. Entweder bekamen die Probandinnen von ihren Mitspielerinnen regelmäßig den Ball zugespielt oder sie wurden ausgeschlossen. Ein Magnetresonanztomograph maß währenddessen die Hirnaktivität der Testpersonen. Es zeigte sich: Bei den Borderline-Patientinnen war der dorsale anteriore zinguläre Kortex stärker aktiv als bei den gesunden Frauen. Diese Region schlägt sowohl bei körperlichem als auch bei emotionalem Schmerz an. Dieses neuronale Erregungsmuster spiegelt laut den Autoren wider, wie sehr Menschen mit einer Borderline-Störung zwischenmenschliche Zurückweisung schmerzt.
Psychologische Faktoren
Traumatische Erlebnisse in der Kindheit erhöhen das Risiko für die Persönlichkeitsstörung. „Etwa die Hälfte der Betroffenen wurde als Kind sexuell missbraucht. Dieser frühe, massive Stress führt dazu, dass sich die Affektsteuerung, also die Fähigkeit, Gefühle zu regulieren, nicht richtig ausbilden kann“, erklärt Martin Bohus. Bei der anderen Hälfte finden sich keine sexuellen Traumata in der Biografie. Viele Forschende gehen davon aus, dass ein Teil der Betroffenen schon mit einer emotionalen Überempfindlichkeit zur Welt kommt. Sie schrieen bereits als Babys viel, konnten sich kaum beruhigen und stießen damit bei ihren Bezugspersonen oft auf Ablehnung. Als besonders schädlich gilt dabei ein Umfeld, das die überbordenden Gefühle des Kindes ignoriert oder als übertrieben abstraft. „Streng genommen ist das kein Trauma, die dauerhafte Invalidierung ihrer Gefühle wird von den Kindern aber oft als traumatisch erlebt“, so Bohus. Nicht jeder Mensch, der eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt, hat aber ein Trauma erlebt oder wurde von den Eltern schlecht behandelt. In manchen Fällen bleiben die Gründe unklar.
Soziokulturelle Faktoren
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde bisher vor allem in westlichen Industrienationen erforscht. Deshalb gibt es nur wenige Erkenntnisse zum Einfluss der Kultur. Es gibt aber Hinweise, dass die typischen Probleme mit der Kontrolle von Emotionen und Impulsen in kollektivistischen Gesellschaften, wo Harmonie und Gleichmut als besonders wichtige Werte gelten, stärker sanktioniert werden als in individualistischen. In Kulturen, in denen es als unangemessen gilt, starke Emotionen offen auszudrücken, ecken Betroffene womöglich stärker an. Zu diesem Schluss kommt ein Team um Elsa Ronningstam, das im Jahr 2018 den Forschungsstand zu kulturellen Aspekten von Persönlichkeitsstörungen zusammenfasste.
Wie verhält sich ein Borderliner oder eine Borderlinerin?
Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung reagieren oft mit heftigen Gefühlsausbrüchen auf Dinge, die andere als Kleinigkeit wahrnehmen. Ohne Vorwarnung entlädt sich zum Beispiel unbändige Wut, oder es kommt zu einem Weinkrampf als Ausdruck der Verzweiflung, die sie in diesem Moment spüren. Auslöser kann schon ein Blick sein, ein kritischer Satz oder wenn eine wichtige Person nicht sofort auf eine Nachricht antwortet. Weil Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung gleichzeitig sensibel und impulsiv reagieren, wirken sie oft streitsüchtig. Konflikte eskalieren fast immer. Im Extremfall kommt es zu dramatischen Szenen, in denen die betroffene Person droht, sich umzubringen. In Beziehungen schwanken Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung zwischen Bewunderung und Abscheu: In einem Moment wird die andere Person idealisiert, im nächsten Moment jäh abgewertet. Im Umgang erscheinen Betroffene daher oft unberechenbar.
Borderline bei Frauen
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wurde lange als typisch weiblich angesehen. Inzwischen weiß man jedoch, dass Männer genauso oft betroffen sind. Die emotionalen Spannungszustände und das impulsive Verhalten gehören unabhängig vom Geschlecht zur Borderline-Persönlichkeitsstörung. Frauen leiden allerdings häufiger als Männer zusätzlich an Essstörungen, Angststörungen oder wiederkehrenden Depressionen.
Borderline bei Männern
Während betroffene Frauen ihre Aggressionen vor allem gegen sich selbst richten, neigen Männer stärker dazu, die Wut nach außen abzureagieren. „Junge Männer mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung landen teils in kriminellen Gangs und kommen mit dem Gesetz in Konflikt“, sagt Martin Bohus. Außerdem greifen Männer eher zu Substanzen, um der quälenden Spannung zu entfliehen, sodass sie häufiger zusätzlich abhängig von Drogen oder Alkohol sind. Männliche Betroffene haben schlechtere Chancen, ihre Symptome zu überwinden, denn sie suchen sich deutlich seltener Hilfe. Männer und Frauen leiden zwar gleich häufig an der Borderline-Persönlichkeitsstörung, Frauen begeben sich aber etwa viermal so oft in stationäre Behandlung.
Wie zeigt ein Borderliner Liebe?
Wie alle Gefühle erleben Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung auch Liebe besonders heftig. Wenn sie sich verlieben, stellen sie die Person auf ein Podest – plötzlich ist klar, dass es keinen besseren Menschen auf der Welt gibt. Die erste Phase der Beziehung ist deshalb häufig überwältigend. „Wenn Borderlinerinnen und Borderliner Liebe zulassen, ist diese sehr, sehr intensiv. Sie verhalten sich wie frisch verliebte Teenies“, sagt Martin Bohus. Doch diese Form der Liebe sei selten tragfähig: „Es ist schwierig für sie, die anfängliche romantische Fixierung in eine ruhige und verlässliche Partnerschaft umzuwandeln, in der man den anderen realistisch sieht und mit all seinen Fehlern akzeptiert.“ Je mehr Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung jemanden lieben, desto mehr Angst haben sie und desto stärker reagieren sie auf kleinste Signale, dass die Person sich ihnen entziehen könnte. Oft werden sie daraufhin wütend, gehen auf Angriff und verletzen so gerade die, die ihnen am wichtigsten sind. Betroffene sehnen sich sehr nach Nähe, doch das leiseste Anzeichen für Zurückweisung bringt ihre Welt ins Wanken. Besonders paradox: Manchmal beenden sie die Beziehung sogar vorzeitig selbst, um die unerträgliche Angst, verlassen zu werden, nicht mehr ertragen zu müssen.
Sind Borderliner auch Narzissten?
Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung gehört laut dem Diagnosehandbuch DSM-5 zur gleichen Klasse der Persönlichkeitsstörungen wie die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Betroffene dieser beiden Störungen ähneln sich in einigen Aspekten: Sie haben Probleme, harmonische Beziehungen zu führen, werden von anderen oft als „schwierige Menschen“ wahrgenommen und geraten bisweilen ohne erkennbaren Grund in Wut. Narzisstische Menschen versuchen häufig, andere zu manipulieren.
Auch Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung werden manchmal als manipulativ erlebt. Die intensive Angst vor dem Verlassenwerden kann dazu führen, dass sie bestimmte Verhaltensweisen einsetzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen oder die andere Person an sich zu binden. Und noch etwas haben Menschen mit einer Narzisstischen und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gemeinsam: Ihr Selbstwert ist instabil. Fehlt der Applaus von außen beziehungsweise erleben sie eine tatsächliche oder eingebildete Zurückweisung, verlieren sie den Halt. Es gibt also Überschneidungen und es kommt vor, dass Menschen die Diagnosekriterien für beide Persönlichkeitsstörungen erfüllen.
„Borderline-Patienten und Patienten mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung lassen sich aber in der Regel klar voneinander unterscheiden“, sagt Martin Bohus. „In beiden Fällen gibt es wahrscheinlich eine frühe Bindungsproblematik. Narzissten haben aber im Gegensatz zu Borderlinern gelernt, dass sie das Gefühl, nicht zu genügen, durch Leistung überwinden können.“ Typisch für Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus sind daher ein großspuriges Auftreten und eine übertriebene Anspruchshaltung – beides eher untypisch für Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Stärken von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sind sehr verletzlich, aber auch außergewöhnlich empfindsam. „Diese Menschen haben ein starkes Einfühlungsvermögen und können oft sehr gut mit Kindern, älteren Menschen und Tieren umgehen“, erklärt Martin Bohus. „Viele sind auch besonders empfänglich für Kunst, denn sie nehmen alles intensiver wahr.“
Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Diagnose muss von Fachleuten wie Psychologinnen oder Psychiatern gestellt werden. Dazu braucht es intensive Gespräche, oft kommen auch diagnostische Interviews zum Einsatz, die auf den Kriterien anerkannter Diagnosekataloge basieren.
Borderline-Klassifizierung nach DSM-5
Nach dem aktuellen Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5) der American Psychiatric Association müssen mindestens fünf der folgenden Kriterien für die Diagnose erfüllt sein:
Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden
Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist
Störung der Identität: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung
Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen, zum Beispiel Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Essanfälle
Wiederholtes suizidales Verhalten, Suizidandeutungen, -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten
Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung, zum Beispiel hochgradige episodische Misslaunigkeit, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern
Chronische Gefühle von Leere
Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren. Das kann sich in häufigen Wutausbrüchen zeigen, in andauernder Wut und in wiederholten körperlichen Auseinandersetzungen
Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome
Borderline-Klassifizierung nach ICD-10
Laut der zehnten Version der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) müssen für eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen:
Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln
Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden
Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens
Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden
Unbeständige und launische Stimmung
Außerdem müssen mindestens zwei der folgenden Kriterien vorliegen:
Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und „inneren Präferenzen“ (einschließlich sexueller)
Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen
Übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden
Wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung
Anhaltende Gefühle von Leere
Borderline-Klassifizierung nach ICD-11
In der seit 2022 gültigen Version der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation (ICD-11) hat sich bei der Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen einiges geändert. Einzelne Persönlichkeitsstörungen wie die narzisstische Persönlichkeitsstörung oder die paranoide Persönlichkeitsstörung entfallen, da sich Patientinnen und Patienten in der Praxis selten sinnvoll nur einer dieser Kategorien zuordnen lassen. Stattdessen erhalten sie nun eine individuellere Diagnose, die sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt. Einzig Borderline blieb als diagnostische Einheit erhalten, weil es verhältnismäßig gut erforscht ist und spezielle Behandlungsmethoden effektiv wirken. Gemäß der ICD-11 müssen mindestens fünf der folgenden Punkte für eine Persönlichkeitsstörung mit einem Borderline-Muster vorhanden sein:
Heftige Versuche reales oder vorgestelltes Verlassenwerden zu vermeiden
Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen
Identitätsstörung als deutliches und persistierendes instabiles Selbstbild
Tendenz, bei starken negativen Emotionen impulsiv zu handeln, führt zu potenziell selbstschädigendem Verhalten
Wiederkehrende Episoden von Selbstschädigung
Emotionale Instabilität aufgrund von deutlicher Reaktivität der Stimmung
Chronische Gefühle der Leere
Unangemessener intensiver Ärger oder Schwierigkeiten Ärger zu kontrollieren
Vorübergehende dissoziative Zustände oder Psychose-ähnliches Erleben in Situationen mit hoher emotionaler Anspannung
Andere Manifestationen des Borderline-Musters, die nicht alle zum gegebenen Zeitpunkt präsent sein müssen, sind:
Ein Selbstbild als unzulänglich, schlecht, schuldig, abstoßend und verachtenswert
Erleben des Selbst als grundlegend anders und isoliert von anderen Menschen
Schmerzliches Gefühl der Entfremdung und tiefe Einsamkeit
Hypersensitivität für Zurückweisung
Probleme, angemessenes Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen aufzubauen beziehungsweise aufrecht zu erhalten
Häufige Fehlinterpretation von sozialen Signalen
Gibt es begleitende Erkrankungen bei Borderline-Patientinnen und -Patienten?
Betroffene leiden oft gleichzeitig an anderen Störungen. Bis zu 80 Prozent der Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung haben auch schon mindestens eine depressive Episode erlebt. Zu den häufigsten Diagnosen, die sie zusätzlich erfüllen, gehören neben der Depression eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Angst- und Essstörungen sowie das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). DNA-Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung und ADHS, die sich beide in einer gestörten Impulskontrolle äußern, teilweise auf gemeinsame genetische Veränderungen zurückgehen. Manche Patientinnen und Patienten mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden auch gleichzeitig an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Außerdem berichten sie überdurchschnittlich häufig von körperlichen Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmerzen und Migräne.
Therapie und Behandlung bei Borderline
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung lässt sich inzwischen in vielen Fällen gut behandeln. Je früher man damit beginnt, desto besser.
Psychotherapie als primäre Behandlungsmethode
Die wirksamste Behandlung ist eine speziell auf diese Störung zugeschnittene Psychotherapie. Zwei Psychotherapieverfahren haben sich als besonders wirksam erwiesen: die Dialektisch-Behaviorale Psychotherapie (DBT) und die Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT).
Die DBT wurde für suizidgefährdete Borderline-Patientinnen und -Patienten entwickelt. Der Schwerpunkt der DBT liegt auf dem Erlernen gesünderer Strategien im Umgang mit intensiven Gefühlen und Impulsen. Die „Skills“, die Betroffene in der DBT lernen, nutzen oft starke äußere Reize, um von dem inneren Druck abzulenken. So hilft es manchen, bei großer Anspannung in eine Chilischote zu beißen oder sich eiskaltes Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen. Auch Achtsamkeitsübungen sind ein wichtiger Bestandteil der DBT, denn sie trainieren die Fähigkeit, sich von Emotionen zu distanzieren.
Die MBT soll helfen, das eigene Innenleben und das anderer Menschen besser zu verstehen, denn mit beidem haben Borderline-Betroffene Probleme. Es fällt ihnen schwer, Gefühle zu erkennen und zu benennen, und das Verhalten ihres Gegenübers auf dessen inneren Zustand zurückzuführen: Vielleicht ist der Partner gerade kurz angebunden, weil er von der Arbeit erschöpft ist, und nicht, weil er einen nicht mehr liebt. Das Mentalisieren – die Fähigkeit, die inneren Beweggründe für ein Verhalten zu erfassen – wird in der MBT trainiert.
Laut der S3-Leitlinie zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung erreicht ein Drittel der Betroffenen schon nach einem Jahr DBT oder MBT eine deutliche Besserung bis hin zur vollständigen Heilung. Ein Drittel erreiche dieses Stadium nach etwa zwei Jahren und ein Drittel der Betroffenen benötige eine langfristigere therapeutische Begleitung. Gerade wenn zusätzlich noch andere psychische Erkrankungen vorliegen, sei die Therapie langwieriger, so das Gremium aus Experten.
Medikamentöse Behandlung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
Medikamente werden bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung nur in Ausnahmefällen eingesetzt. Die S3-Leitlinie empfiehlt Psychopharmaka ausdrücklich nicht als Primärtherapie. In Deutschland sind keine Medikamente speziell zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung zugelassen. Leidet der Patient oder die Patientin aber gleichzeitig an einer anderen psychischen Erkrankung wie einer Depression oder ADHS, kann eine Medikation sinnvoll sein.
Selbsthilfegruppen und Unterstützungsnetzwerke
Selbsthilfegruppen sind sehr wertvoll, weil Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung das Gefühl haben, anders als andere zu sein, und darunter leiden, dass ihre Mitmenschen ihre emotionalen Ausbrüche nicht verstehen. Die Gruppen sind zwar kein Ersatz für eine Psychotherapie, können aber eine wertvolle Ergänzung zu einer professionellen Behandlung sein, indem sie eine Gemeinschaft bieten, in der Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ihre Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. Die Mitglieder können gemeinsam Erfolge feiern, Rückschläge verarbeiten und sich in schwierigen Zeiten gegenseitig stärken. Die Geschichten der anderen können helfen, eigene Verhaltensmuster, Denkweisen oder Reaktionen zu erkennen und besser zu verstehen.
Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe kann das Selbstvertrauen und das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken: Indem Betroffene anderen helfen, erleben sie sich wieder als wertvoll und fähig. Hilfreich ist auch der Austausch über praktische Bewältigungsstrategien und Notfallmaßnahmen: Was hilft anderen in Krisen, welche Techniken nutzen sie, um emotionale Spannungszustände auf gesunde Weise zu beenden. Eine Anlaufstelle ist der sogenannte Borderline Trialog, der in verschiedenen deutschen Städten angeboten wird. Im Borderline Trialog kommen Betroffene, Angehörige und Fachleute zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen.
Ist Borderline heilbar?
Dank neuerer Psychotherapien gilt die Borderline-Persönlichkeitsstörung inzwischen als heilbar. „Bei 60 bis 70 Prozent der Patientinnen und Patienten ist die Behandlung so erfolgreich, dass sie die Kriterien der Störung am Ende nicht mehr erfüllen“, sagt Martin Bohus. Dafür braucht es jedoch eine intensive, oft mehrjährige Psychotherapie, die speziell auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung zugeschnitten ist. „Die Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung gehört in die Hände von Therapeutinnen und Therapeuten mit einer Zusatzausbildung. Fragen Sie deshalb unbedingt nach, ob die Therapeutin sich mit dem Störungsbild auskennt“, rät Martin Bohus. „Eine unspezifische Therapie hat deutlich geringere Wirkung.“
Tipps für Angehörige von Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
Das Leben mit einem von der Borderline-Persönlichkeitsstörung betroffenen Menschen ist oft nicht einfach. Ob es das eigene Kind, die Partnerin oder der Partner, ein Freund oder ein Elternteil ist: Es gibt Dinge, die man tun kann, um es beiden Seiten leichter zu machen.
Tipp 1: Streitregeln vereinbaren
Im Kontakt mit einem Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung eskalieren Konflikte schnell. Deswegen ist es besonders wichtig, grundlegende Regeln für eine konstruktive Kommunikation einzuhalten:
Lassen Sie einander ausreden
Formulieren Sie Ich-Botschaften („Ich habe das Gefühl, ich habe dich gekränkt.“) statt Vorwürfen („Du bist immer so empfindlich!“)
Versuchen Sie, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und legen Sie eine Pause ein, wenn die Stimmung zu sehr hochkocht („Ich sehe, es gibt Klärungsbedarf, aber ich sehe auch, dass du gerade auf 180 bist. Lass uns heute Abend mit kühlem Kopf noch einmal darüber reden.“)
Tipp 2: Grenzen setzen
Für Angehörige ist es wichtig, eine Balance zwischen Unterstützung und Abgrenzung zu finden. Sie sollten ungünstiges Verhalten des Betroffenen nicht belohnen und vor allem klar sagen, wenn etwas für sie selbst zu belastend ist. „Wenn es zu viel wird, etwa wenn es um Suizidversuche oder -drohungen geht, darf man ruhig sagen: ‚Besprich das bitte mit deinem Therapeuten, nicht mit mir‘“, so Martin Bohus. Freunde und Familie können die Probleme nicht für die betroffene Person lösen und sollten unbedingt auch ihr eigenes Wohl im Blick behalten.
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Dann lesen Sie auch eine Reportage über eine schwer erkrankte Frau mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, die mit dem Medienpreis der DGPPN ausgezeichnet wurde, in Und morgen vielleicht von vorn oder viele weitere Artikel rund um die Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Krisenintervention bei Borderline-Persönlichkeitsstörung: Was ist zu tun?
Menschen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung geraten oft wiederholt in psychische Krisen. Wenn die Verzweiflung zu groß wird oder Sie oder ein Angehöriger sogar daran denken, sich etwas anzutun, fahren Sie ohne zu zögern in eine Klinik mit psychiatrischer Station. Sie brauchen dafür keine Überweisung und können im Zweifel auch einfach den Notruf wählen. Zudem gibt es telefonische Hilfsangebote, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen:
Deutschland:
Telefonseelsorge, www.telefonseelsorge.de, 0800 - 1110111 oder 0800 - 1110222
Österreich:
Telefonseelsorge, www.telefonseelsorge.at, Notrufnummer 142
Schweiz:
Telefonseelsorge „Die Dargebotene Hand“, www.143.ch, Notrufnummer 143
Quellen
Martin Bohus, Markus Reicherzer: Ratgeber Borderline-Störung: Informationen für Betroffene und Angehörige. Hogrefe, 2020
Alexandria Choate u.a.: Comorbidity in borderline personality: Understanding dynamics in development. Current Opinion in Psychology, 37, 2021, 104-108
Melanie Domsalla u.a.: Cerebral processing of social rejection in patients with borderline personality disorder. Social cognitive and affective neuroscience, 9/11, 2014, 1789-1797
Fiedler, Peter: Epidemiologie und Verlauf von Persönlichkeitsstörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 2018
Alvaro Frias, Carol Palma.: Comorbidity between post-traumatic stress disorder and borderline personality disorder: a review. Psychopathology, 48, 2015, 1–10
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