Charlotte S., eine junge Frau in den späten Zwanzigern, kommt schon seit einiger Zeit zu mir in die Behandlung. Der Auslöser ist ein traumatisches Ereignis, über dessen Tragweite sie mit niemand anderem reden kann. Charlotte ist die älteste von acht Geschwistern, um die sie sich seit dem frühen Tod ihrer Mutter rührend gekümmert hat, ohne dies jemals als Belastung empfunden zu haben. Auf den ersten (und zweiten) Blick erscheint sie als ein durchweg sonniges Gemüt, vielleicht etwas schwärmerisch veranlagt, was ihre exotisch anmutende Begeisterung für die Lyrik des späten 18. Jahrhunderts (Klopstock!) betrifft.
Seit zwei Jahren ist sie glücklich mit einem langjährigen Jugendfreund verheiratet. Doch zu ihrem Glück passt nicht, was sie selbst „ihr dunkles Geheimnis“ nennt: die Liebe zu einem Bekannten ihres Mannes, der sich aus Verzweiflung über ihre Heirat erschossen hat.
Zunächst schildert sie diesen Mann als liebeswahnsinnigen Stalker, dessen tragisches Ende sie im Nachhinein nicht weiter verwundere. Erst mit der Zeit wird deutlich, dass auch sie ihrem Verehrer mehr als nur freundschaftlich-platonische Gefühle entgegengebracht und die gemeinsamen Interessen als Vorwand benutzt hat, ihn immer wieder in seiner Liebe zu bestätigen. Ihre vor der Umwelt verborgene Depression, die sie pflegt und hegt, wirkt wie ein verzweifeltes Festhalten am verlorenen Liebesobjekt, als eine Fortführung ihrer heimlichen Liebe und die Erfüllung einer romantischen Sehnsucht, die sie bei ihrem Ehemann nicht findet.
Aus welchem Buch stammt die beschriebene Patientin? Hier finden Sie die Auflösung!