Mögen es die Härten und Mühen des modernen Lebens sein – das Bedürfnis nach einer „Hornhaut der Seele“ scheint groß. Resilienz ist längst zum Modewort geworden. Doch was ist Resilienz überhaupt? Klarheit und Übersicht bringen will das Buch Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt von Donya Gilan, Isabella Helmreich und Omar Hahad.
Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung, an dem das Autorenteam tätig ist, definiert Resilienz so: „Psychische Resilienz bezeichnet die Aufrechterhaltung beziehungsweise die rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während und nach stressvollen Lebensereignissen.“ Auch wenn das Buch den Anspruch erhebt, „die Wissenschaft“ zu repräsentieren, so liegen die Schwerpunkte auf Genetik, Neurobiologie und kognitiver Psychologie.
Nach einem Ausflug in die Geschichte der Resilienzforschung, in dem auch die Pionierin Emmy Werner mit ihrer berühmten Kauai-Studie in Hawaii erwähnt wird – sie zeigte als eine der Ersten, dass Kinder trotz schwierigster Startbedingungen im späteren Leben sozial und beruflich erfolgreich sein konnten –, gibt das Buch einen vertieften Einblick in die Genetik.
Geringerer Einfluss der Gene
Resilienz sei nur zwischen 30 und 50 Prozent genetisch bedingt, ein großer Teil davon entwickle sich erst im Lauf des Lebens, so die These des Autorenteams.
Gene bestimmen, wie wir auf Stress reagieren. Die Entdeckung des 5-HTT-Gens (Hydroxytryptamintransporter-Gen), das für den Transport des Neurotransmitters Serotonin zwischen den Synapsen verantwortlich ist, lieferte hier den Verfasserinnen zufolge „revolutionäre Einsichten“ in die Widerstandsfähigkeit des Menschen.
Und was sagt die psychologische Forschung? Hier werden „evidenzbasierte Resilienzfaktoren“ vorgestellt wie etwa Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung, aktives Coping, Selbstwertgefühl, kognitive Flexibilität, Kohärenzgefühl und viele mehr.
Abstrakt und Praxisfern
Interessanterweise wird auch die Frage diskutiert, ob Resilienz nicht als bloßes Optimierungsinstrument des Menschen missbraucht werden könnte, wenn die belastenden Verhältnisse selbst nicht verändert würden. Diese Kritik wirkt seltsam schal angesichts des Menschenbildes, das die hier dargestellte Resilienzforschung zu leiten scheint, wo Verhaltensmodifikation, „epigenetische Neuprogrammierung“ oder Resilienzsteigerung durch Medikamente zum obersten Ziel erklärt werden. So wird begeistert berichtet: „Die direkte Beeinflussung der Struktur und Schaltkreise des Gehirns oder ‚die Pille danach‘, um Traumatisierungen entgegenzuwirken, sind schon keine Zukunftsmusik mehr.“
Auch wenn das Buch mit einer immensen Fülle an Studien, Quellenangaben und Details aufwartet, so bleibt es abstrakt und praxisfern. Ob mit diesem einseitig reduktionistischen Ansatz, der ein tieferes Verständnis von Menschsein und Existenz vermissen lässt, das Phänomen Resilienz in seiner Komplexität erfasst werden kann, darf bezweifelt werden.
Donya Gilan und Isabella Helmreich mit Omar Hahad: Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt. Herder, Freiburg i.Br. 2021, 208 S., € 22,–