Wie bringt man dämonisierte Sexualität, Eifersucht, Gewalt, Überlegenheitspostulate und Sinnerschaffung unter einen Hut? Indem Männer eine alle diese Punkte integrierende biokulturelle Rollenzuweisung von Frauen fabrizieren. Diese Konstruktion zieht sich durch die Menschheitsgeschichte.
Der holländische Zoologe Carel van Schaik, bis 2018 Direktor des Instituts wie des Museums für Anthropologie der Universität Zürich, und der in Zürich lebende deutsche Journalist Kai Michel reklamieren gleich zu Beginn ihres Buches Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern, sie würden sich an einem interdisziplinären Ansatz versuchen, nämlich Biologie mit Geschichte zu verbinden – was nicht gar so neu ist, wie es ihre Ankündigung, betont durch ein Ausrufezeichen, signalisieren soll.
Biologische und kulturelle Evolution
Das heißt, wie das Duo schreibt: Sexualverhalten der Bonobos und Venusfigurinen, Steinzeitheiligtümer, deren Deutung noch immer Rätsel aufgibt, plus mesopotamische Götterkönige, Maria Magdalena und die Erbsündenlehre des Kirchenvaters Augustinus. Biologische Evolution wird so gekoppelt mit der kulturellen.
Schaik und Michel: „Wir haben es mit einer männlich deformierten Realität zu tun, die so tut, als sei sie die tatsächliche Wirklichkeit, dabei ist sie nur ein kulturelles Produkt, eine Simulation. Geschichten wie die von Eva, immerhin der Anfang des mächtigsten Buchs der Weltgeschichte, dienten dazu, den Frauen (und Männern) zu suggerieren, dass diese Verzerrung die Normalität sei, gottgegeben.
Wir leben in einer patriarchalen Matrix – der Patrix.“ Eben diese patriarchale Matrix wollen die beiden Autoren analysieren und nachvollziehen, wie ihr enorme Wirkmacht zuwuchs und wieso sie sich über viele Jahrhunderte und Kulturen hinweg gehalten hat bis in die Gegenwart.
Nicht mehr von Belang
Nicht selten verstimmt der flapsige, aufgekratzte Tonfall, den van Schaik und Michel anschlagen, ebenso die allzu gern zitierten Beispiele aus Populärkultur und Mainstreamkino. Wenn das Lektorat stärker eingegriffen hätte, um die 700 Buchseiten um etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent leichter zu machen – man würde kaum etwas vermissen.
Van Schaik und Michel beginnen mit der Genesis, dem ersten Buch des Alten Testaments. Ausführlich referieren sie jüngste bibelwissenschaftliche Erkenntnisse, denen zufolge es sich bei der Genesis weitgehend um ein Plagiat handelt, eine Kompilation von Mythen und mythologischen Schöpfungsgeschichten. Was nicht wundernimmt, gilt doch Gleiches durchaus auch für den Rest des Buchs der Bücher.
Duchaus gelungen ist die Darstellung biologischer Evolutionsprozesse, wenn auch hier mit großer Regelmäßigkeit so manche Hypothese beleuchtet wird, die in aktuellen Debatten faktisch nicht mehr wirklich von Belang ist. Wirklich interessant sind van Schaiks Berichte von seinen Feldforschungen bei Primaten auf Borneo und Sumatra.
Die Autoren umreißen die jahrtausendealte Entwicklung der Geschlechterungleichheit und gehen am Ende auf die Vision und die unbestreitbaren Vorteile einer gendergerecht ausbalancierten Arbeitswelt ein.
Ausgetauscht durch Männer
„Eine neue Kulturgeschichte des Feminismus, mitreißend erzählt“, liest man auf dem Umschlag von Mythos Geschlecht. Eine Weltgeschichte weiblicher Macht und Ohnmacht der niederländischen Literaturwissenschaftlerin Mineke Schipper. Und möchte das Buch ob des groben Marketingunsinns gleich weglegen. Was schade wäre. Denn die Komparatistin, die im Kongo, in Amsterdam und Leiden lehrte und dort als Erste den Lehrstuhl für interkulturelle Literaturwissenschaft bekleidete, präsentiert eine neue Lesart uralter Mythen und Legenden, die halfen, eine patriarchalische Ordnung von Sippe, Stamm und Gesellschaft maßgeblich zu institutionalisieren.
„Die mythische Vergangenheit hängt wie ein Klotz an der modernen Gegenwart“, schreibt die 83-jährige Schipper. In Mythen aus vielen sehr unterschiedlichen Ländern und Kulturen, so weist sie nach, wurden sukzessive mütterliche Gottheiten und Schöpfungserzählungen durch männliche ersetzt. Schöpfungsakte wurden zu bizarren Akten autoerotischen Selbstgebärens, buchstäblich zu Kopfgeburten. So heißt es etwa im Juden- wie im Christentum, ein männlicher Gott habe innerhalb von sechs Werktagen die Welt und alles Leben darauf geschaffen – und zwar aus dem Nichts.
Fokus auf westliche Experten
Schipper zeigt instruktiv auf, dass es sich dabei keineswegs um pittoreskes Erzählen handelte. Aus solchen Kreationsmythen wurde ein absolutes Primat der Männer abgeleitet. Umgekehrt waren die Folgen für Frauen dramatisch: Abwertung, Reduktion auf Körperlichkeit, Diffamierung ob angeblich defizitärer Fähigkeiten. Aktuellen Erhebungen der World Health Organization (WHO) ist zu entnehmen, dass jede dritte Frau mehr als einmal in ihrem Leben sexualisierte Misshandlung erleiden musste.
Schipper schreibt mit Verve. Dass der deutsche Verlag dem Buch aber im Untertitel das Wörtchen „Weltgeschichte“ mit auf den Weg gab, erweist sich als trügerisch. Denn in Schippers finaler Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Lebenssituation von Frauen fällt auf, dass hier fast nur feministische Stimmen und Positionen aus der westlichen Hemisphäre Berücksichtigung finden. Arabische Frauenbewegungen – man denke an das Tunesien nach Ben Ali – und People of Color-Feministinnen hätten dem lesenswerten Band zusätzlich eine interessante Akzentsetzung gegeben.
Carel van Schaik und Kai Michel: Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern. Rowohlt, Hamburg 2020, 704 S., € 26,–
Mineke Schipper: Mythos Geschlecht. Eine Weltgeschichte weiblicher Macht und Ohnmacht. Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke. Klett-Cotta, Stuttgart 2020, 352 S., € 24,–