Der Umgang der Psychoanalyse mit Homosexualität war lange Zeit von Ablehnung und Pathologisierung geprägt. Wie äußerte sich das?
Obgleich Sigmund Freud betonte, dass das Ziel der psychoanalytischen Kur nicht darin bestehe, Homosexuelle den Wünschen ihrer Eltern gemäß zu ordentlichen Heterosexuellen zu machen, wurden sie bis in die 1990er Jahre hinein pathologisiert. Herbert Gschwind bezeichnete die Geschichte der Pathologisierung Homosexueller daher treffend als „historischen Trümmerhaufen“.
In Theorie und Praxis wurden Konversionstherapien befürwortet, Homosexualität als Ausdruck von Regression und entsprechender Unreife beschrieben. Das war etwa bei berühmten Antihomosexuellen wie Charles Socarides der Fall, aber in den 1960er Jahren auch bei später progressiven Psychoanalytikern wie Fritz Morgenthaler. Der schwule Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch weist außerdem immer wieder darauf hin, dass sich auch nach der Liberalisierung innerhalb der Psychoanalyse noch in den 1990er Jahren viele Ausbildungsinstitute weigerten, Homosexuelle als Bewerber aufzunehmen.
1976 wurde Homosexualität von der American Psychiatric Association aus ihrem Krankheitenkatalog gestrichen und galt danach nicht mehr als „psychische Störung“. Was hat sich seitdem geändert?
Es ist der jahrzehntelangen Arbeit von Analytikern oder analytisch Denkenden wie Fritz Morgenthaler ab den späten 1970er Jahren, Martin Dannecker, Herbert Gschwind und Ulrich Gooß, Reimut Reiche und Sophinette Becker zu verdanken, dass sich etwas geändert hat. Doch die kritische Haltung zur Antihomosexualität in der Psychoanalyse ist mitunter nur ein Lippenbekenntnis geblieben. Bei einer solchen Scheintoleranz ist Skepsis geboten: Das Ressentiment wurde nicht durchgearbeitet, und eine oberflächliche Toleranz kann immer auch wieder zurückgenommen werden.
Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich vor dem Hintergrund der Liberalisierung auch neue Denkrichtungen entwickeln können, die sich ganz bewusst von der Psychopathologisierung der Homosexuellen abwenden. Das ist eine enorm wichtige Errungenschaft, die nun auch an der jüngeren Generation werdender Psychoanalytiker weiter ausgebaut werden muss – zusätzlich zu einer tiefgreifenden Aufarbeitung der antihomosexuellen Geschichte und ihrer Auswirkungen auf die Behandlung und Theorie.
Wie könnte eine Aufarbeitung des homophoben Erbes aussehen?
Sophinette Becker verdeutlicht dies in ihrem Beitrag für unser Buch anhand eines Gesprächs mit einem Kollegen, der auf Nachfrage meinte, er denke schon, dass Homosexuelle „doch irgendwie weniger reif“ seien, weil Reife die Anerkennung von Differenz voraussetzt. Becker widerspricht dem aus gutem Grund, meint aber, die Aussage des Analytikers sei „produktiv, weil sie sich nicht um oberflächliche politische Korrektheit bemüht“.
Ein wichtiger Schritt innerhalb der Psychoanalyse wäre es, wenn ein offener Austausch und vor diesem Hintergrund ein echtes Durcharbeiten stattfinden könnte. Das würde bedeuten, sich den vorhandenen Ressentiments zu stellen, die Abwehr bewusst zu benennen – statt sie, um nicht als antihomosexuell dazustehen, zu verleugnen. Dann könnte man sich den Gründen widmen, diese hinterfragen, kritisieren und andere Wege reflektieren.
Patrick Henze, Dr. phil, wurde in Gender Studies mit seiner Arbeit zur westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre promoviert. Er ist Mitorganisator des Symposiums „(Homo)Sexualität und Psychoanalyse“
Das Buch Psychoanalyse und männliche Homosexualität. Beiträge zu einer sexualpolitischen Debatte (Psychosozial, 330 S., € 34,90) hat Patrick Henze gemeinsam mit Aaron Lahl und Victoria Preis herausgegeben